31.08.2006

Der alte Mann und die Stadt

Gestern ist der ägyptische Schriftsteller Nagib Mahfus im Alter von 94 Jahren gestorben. Der Romancier, der immer verschmitzt hinter seiner legendären großen Brille hervorlugte, hat wie kein anderer seiner Stadt Kairo ein literarisches Denkmal gesetzt. Bevor ich jetzt auch noch meinen Senf dazu abgegebe will ich aber einfach auf den treffenden Nachruf in der taz verweisen, wo Lewis Gropp und Daniel Bax den ersten arabischen Literaturnobelpreisträger würdigen.

24.08.2006

Barakat! von Djamila Sahraoui

Das bürgerkriegsgeplagte Algerien der 90er Jahre liefert den Hintergrund für Barakat! (Es reicht!). Regisseurin Djamila Sahraoui erzählt in ihrem Spielfilmdebüt die Geschichte der jungen Ärztin Amel (Rachida Brakni) und ihrer Kollegin Khadija, einer Krankenschwester in ihren Fünfzigern. Amels Mann, ein kritischer Journalist, wird von Integristen verschleppt. Hals über Kopf macht sich seine Frau in Begleitung Khadijas auf, um ihn zu suchen. Dies mag irrealistisch klingen. Doch nach den ersten 20 Minuten, nach dem Besuch in einem verlassenen Bergdorf, das den Fundamentalisten als Versteck dient, kommt die eigentliche Geschichte in Gang. Denn der Bürgerkrieg dient Sahraoui nur als Folie, vor der sie das Verhältnis der beiden Frauen beschreibt. Die beiden stehen symbolisch für zwei Generationen. Khadija erinnert sich noch lebhaft an die Zeit der Kämpfe der FLN, während Amel mit den ehemaligen Befreiungskämpfern nichts mehr zu tun hat. Weitestgehend ohne bedeutungsschwangere Dialoge gelingt es der Regisseurin, ein sensibles und subtiles Porträt dieser beiden Frauen zu zeichnen, die sich auf ihrem gemeinsamen Weg durchs algerische Hinterland näher kommen und verstehen lernen. Die Reise als Selbstfindung: es ist ein klassisches Motiv, dass Sahraoui da verwendet, doch es gelingt ihr, dieses eigenständig umzusetzen. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kameraarbeit. Man sieht Barakat! an, dass Sahraoui vom Dokumentarfilm kommt. Wo andere Regisseure gnadenlos geschnitten hätten, erlaubt sie sich lange Einstellung, gibt dem Zuschauer Zeit zu beobachten und den Bildern Zeit zum atmen. Wunderbar und berührend die Begegnung mit einem altem Mann, der die beiden Suchenden in seiner kleinen Hütte aufnimmt. Bevor er mit den Frauen die Reise fortsetzt, geht er zum Grab seiner Frau und verabschiedet sich. Um solche ergreifenden Szenen pathosfrei und subtil zu inszenieren braucht es ein geheiligtes Talent. Djamila Sahraoui verfügt darüber, das steht außer Zweifel. Fern jeder Didaktik, jeder gut gemeinten Geschichtsstunde (wie man sie in einigen anderen algerischen Produktionen der letzten Jahre findet, die sich mit den Jahren des Integrismus auseinandersetzen, wie etwa Belgacem Hadjhadjs El Manara) zeichnet sie ein einfühlsames Porträt der Figuren (selbst wenn die Musik hin und wieder ein bisschen zu bedeutungsvoll daherkommt) und setzt ein Zeichen gegen die Verdrängung. Barakat!
Barakat! (Djamila Sahraoui, Algerien/Frankreich 2006)

23.08.2006

Der Islam am Wendepunkt

„Der Islam ist nicht durch die Aufklärung gegangen“ und „ist auch gar nicht reformierbar“, war in den letzten Jahren in Debatten über vermeintliche Kulturkämpfe, Terrorismus und Islamismus eines der gängigsten Vorurteile und schlagendes Argument islamophober Publizisten. Dabei wird, gerade in Deutschland oft übersehen, dass der Islam sich gerade mitten im eingeforderten Reformprozess befindet. „Das läuft gerade wie im religionssoziologischen Lehrbuch ab.“, sagte Ludwig Ammann mal dazu. Und ist es nicht nur der Islam, der gerade wieder einen Aufschwung erfährt. Vielmehr ist Europa eine kleine Insel der Atheisten geworden, während die Religion weltweit wieder an Bedeutung zunimmt, seien es der Protestantismus in den USA, Katholizismus in Lateinamerika und Korea oder der Islam in Teilen Asiens und Afrikas. Dass die Anhänger der islamischen Religion keineswegs einen monolithischen Block sturer Fanatiker darstellen, wird hierzulande gerne übersehen. Die Iranistin und Journalistin Katajun Amirpur und der Islamwissenschaftler, Publizist und Filmverleiher (Kool-Film) Ludwig Ammann haben jetzt ein Buch herausgegeben, dass die Vielfalt islamische Reformer vorstellt: Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion. Der Band gliedert sich in fünf Blöcke, die Vertreter des europäischen Islam vorstellen, Bestrebungen um religiöse Formen der Demokratie beobachten, sich mit Schariareform, künftigem Koranverständnis und last but not least mit islamisch geprägtem Frauen- und Menschenrechtsaktivismus auseinandersetzen. Dabei werden 19 bekannte und weniger bekannte islamische Reformer vorgestellt, wie etwa der dynamisch-charismatische ägyptisch-schweizerische Tariq Ramadan oder Nurcholish Madjid aus Indonesien und Farid Esack aus Südafrika. Es mag zunächst verwundern, doch gerade die iranische Mullahkratur hat durch die staatlich verordnete Religiosität einige der prominentesten islamischen Reformer wie Mohamed Schabestari und Abdolkarim Sorusch hervorgebracht. Die Herausgeber porträtieren in ihrem Band freilich nicht nur die im Westen umjubelten Liberalen wie etwa Soheib Bencheikh, der Ramadan in Frankreich den letzten Jahren an Popularität und Medienpräsenz überholt hat, sondern auch so umstrittene Figuren wie die marokkanische Islamistin und Feministin Nadia Yassine. So wenig sich diese Figuren über einen Kamm scheren lassen, eines wird klar bei der Lektüre der (auch für „Islam-Laien“ verständlichen) informativen Porträts: Der Islam befindet sich mitten im Umbruch. Während einige Fanatiker einen reaktionären Kurs fahren, bemühen sich viele „liberale“ Reformer, neuen Zugang zum Koran zu finden und ihn und seine Regeln und Gebote historisch zu lesen und einzuordnen. Eine Reformation jedoch, die nachhaltig auch in der Zivilgesellschaft der islamischen Welt Gehör finden und wirksam werden will, ist nur von innen heraus möglich. Was der „Westen“ dazu leisten kann und soll: sich um ein besseres Verständnis sowohl politischer wie gesellschaftlich-religiöser Zusammenhänge bemühen und die Reformer unterstützen. Reformen hingegen von außen zu verordnen, wird eher eine weitere Radikalisierung militanter Kreise befördern.
Katajun Amirpur & Ludwig Ammann (Hg.): Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion (Herder, Freiburg 2006, 219 Seiten, 9,90 Euro)

Neue Flaggen

Henner Kirchner (Menalog) hat mal wieder was Tolles aus dem Netz gefischt - nämlich den Vorschlag für neue arabische Flaggen:

16.08.2006

Elle et Lui

Eins vorneweg: bei diesem Film sollte man alles aus seinem Kopf streichen, was einem zu tunesischem Film einfällt. Elle et lui ist anders, mutig, radikal. Die Zeiten des folkloristischen Betroffenheitsfilms, dessen Ende andere schon angekündigt haben, sind mit diesem Film nun endgültig vorbei. Die Ausgangssituation: Zwei namenlose Figuren, ein Mann (Mohamed Ali Ben Jemaa) und eine Frau (Anissa Daoud), eine Wohnung, eine Nacht. Glaubt man zumindest. Sie klingelt, er öffnet die Tür. Ein Dialog beginnt, obwohl „Dialog“ eigentlich das falsche Wort ist. Denn eigentlich können diese Figuren nicht kommunizieren, zumindest nicht über Worte. Was sich in den 80 Minuten dieses Films abspielt, ist ein Machtspiel zwischen den Figuren. Am Anfang ist er es, der den Fortgang bestimmt. Doch langsam ändern sich die Machtverhältnisse, und mit ihnen bewegen sich die Figuren durch die verschiedenen Zimmer, ändern sich die Farben ihrer Kleidung. Und dann gewinnt sie die Oberhand, bringt ihn dazu, Klimmzüge zu machen, zu bellen, auf allen Vieren durch die Wohnung zu kriechen. Der Debütfilm von Elyes Baccar (der schon mit seinen außergewöhnlichen Kurzfilmen wie L'impasse du temps perdu aufgefallen war), eine low-budget-Produktion für lächerliche 10 000 Euro, stellt sich quer zu allen herkömmlichen Kategorien der Klassifizierung. Das Dekor erinnert an Wong Kar-Wais In the mood for love, der huis clos an die Filme des tunesischen Nouveau Theatre, ebenso finden sich Elemente des Tanztheaters und der Malerei wieder, und die Musik von Sofyann Ben Youssef erzeugt eine außergewöhnliche Spannung, ohne sich dabei jemals in den Vordergrund zu drängen. Und immer wieder muss man an Fassbinder denken, an die Gewalt und die Wut, die sich nicht entlädt, sondern implodiert. Elle et Lui ist das Leiden an der Welt, in der man lebt, in der es keine Lösungen gibt, in der Raum nur als Begrenzung erfahrbar ist, in der die Spannung der Außenwelt die Innenwelt beeinflusst und die Figuren an den Rand einer Psychose treibt. Ein stummer Schrei. Er habe beim Schreiben nicht daran gedacht, einen politischen Film zu drehen, sagt der Regisseur. Und doch ist es einer geworden, ein Film, der nicht von der Politik spricht, sondern von der Unfähigkeit, über Politik zu sprechen, von der Unfähigkeit, zu erzählen. Ein, zwei Mal versuchen die Figuren es, und da fällt der Blick auf eine Zeitung, die halb aufgeschlagen auf einem Tisch liegt, zwischen Büchern, die keine Erklärungen mehr bieten können: „Le secret Ben“ ist dort nur zu lesen. Es könnte Ben Laden sein, es könnte aber auch Ben Ali sei. Vielleicht ist dieses Enigma „Ben“ der Schlüssel, des Rätsels Lösung.
Elle et Lui (Hiya wa howa, Elyes Baccar, Tun 2004, 80 min)
Ein ausführlicherer Text findet sich auf Africiné.

12.08.2006

La télé arrive

Welches Bild wollen wir von uns abgeben, fragt sich Moncef Dhouib in seinem neuen Film La télé arrive und fragen sich auch die Bewohner eines kleinen (Film-)Dorfes, irgendwo im südtunesischen Hinterland. Der Alltag ist geprägt von den ewig gleichen Sitzungen des lokalen Kulturkomitees, in dem all jene versammelt sind, die im Dorf etwas zu melden haben. Die Diskussionen gleichen sich ebenso wie die Unterhaltungsprogramme, die zu Festtagen veranstaltet werden. Nachdem gerade anlässlich des "Tag des Baumes" in Anweseheit eines regionalen Parteifunktionärs eine Feier veranstaltet wurde, erhält der Bürgermeister Fitouri einen Anruf vom Ministerium aus Tunis. Ein deutsches Fernsehteam werde den Ort besuchen. Daraufhin setzen die Mitglieder des Komitees, eine Frauenrechtlerin, ein Kommunist, der Schatzmeister des Kulturhauses, ein Religiöser, ein opportunistischer Händler und eben Fitouri, alles daran, ihr Dorf im Ausland möglichst positiv repräsentiert zu wissen. Die erwartete Ankunft des Fernsehens setzt eine Welle von Veränderungen im Dorf und Streitigkeiten unter den exzentrischen Verantwortlichen in Gang. Weder Kosten noch Mühen werden gescheut, um mit Hilfe eines ägyptischen Regisseurs einen historischen Umzug zu veranstalten, der den ausländischen Gästen das reiche Kulturerbe Tunesien näherbringen soll. Doch die Enttäuschung ist groß, als das Fernsehteam sich nur für giftige Skorpione Nordafrikas und nicht für die Inszenierung der Dorfbewohner interessiert. Kunst und Kultur verkommen in Moncef Dhouibs satirischer Komödie zur reinen Fassade, zu einer auf Öffentlichkeitswirksamkeit im Ausland hinzielenden Inszenierung. Fern jeden Intellektualismus holt der Regisseur (Ya Soltane El Medina) in seinem zweiten Spielfilm das Publikum bei sich ab, verwendet Elemente von Musikvideoclips und macht stilistische Anleihen bei den äußerst populären (vor allem ägyptischen) Seifenopern. Die Figuren sind oft Karikaturen, stereotype Verkörperungen bestimmter tunesischer Bevölkerungsgruppen, der Humor ist zugänglich und einfach gestrickt. Und doch wäre es falsch, La télé arrive nur als populäre, volkstümliche Komödie abzutun. Moncef Dhouib spart nicht mit Kritik an sowohl der Staatsführung als auch an der tunesischen Bevölkerung, die beide primär daran interessiert sind, gegenüber der Obrigkeit beziehungsweise dem Ausland eine gute Figur abzugeben. "Le mérite de Moncef Dhouib dans son dernier opus, La télé arrive, c’est de renouer avec cette vertu cardinale et hygiénique sans laquelle aucune société ne peut vivre: le rire. Dans un cinéma tunisien assez lacrymal et morose, c’est vraiment bien qu’un cinéaste ait pensé à faire rire le public, à le divertir et à l’instruire à la fois.", schreibt der tunesische Kritiker Hedi Khelil. La télé arrive ist gespickt mit Anspielungen auf Figuren der tunesischen Geschichte und Gegenwart, auf Praktiken der Regierungen, das lokale Radio und bestimmte Bevölkerungsgruppen. Hichem Rostom und Nouri Bouzid haben Gastauftritte, Tarek Ben Ammar und seine Bibelschinken bekommen ihr Fett weg und Raouf Ben Amor legt eine hinreißende Ben Ali-Imitation hin. Doch der Film ist mehr als nur eine Komödie über den Einfluss des Fernsehens auf unser Leben. La télé arrive verhandelt die schwierige Frage der Eigen- und Fremddarstellung, den Umgang mit der eigenen Kultur in einem Land, das aufgrund der großen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Tourismus essentiell auf ein positives Bild im (europäischen) Ausland angewiesen ist, dessen innere Realität jedoch merklich divergiert. Und er fragt nach dem Wunsch nach Anerkennung der (Werte der) Bevölkerung durch das Ausland einerseits, dem Gefühl, vom "Westen" herablassend behandelt zu werden andererseits. Was die Auswertung des Films angeht besinnt sich Moncef Dhouib auf die Traditionen umherfahrender Kinobusse (vgl. Ridha Behis halb-autobiographischer Spielfilm La boîte magique). Premiere feierte sein Film in Sned, dem kleinen Dorf, in dem auch gedreht wurde. Nicht das Fernsehen, sondern das Kino kommt! Ein Bus ausgestattet mit einer mobilen Projektionskabine, Tonsystem und Leinwand macht die Tour übers Land, Vorstellungen finden in lokalen Kulturhäusern oder auf Dorfplätzen sowie statt, bevor der Film im Oktober 2006 gleichzeitig in Marokko, Algerien und Tunesien im Kino starten soll. Bewusste Vorpremieren auf dem Land sind die Ausnahme, denn Kinosäle existieren in Tunesien nur noch in den Grostädten. Genauso ungewöhnlich ist die gleichzeitige Auswertung im gesamten Maghreb, denn zwischen den einzelnen arabischen Staaten existiert kaum eine funktionierende Verleih-Infrastruktur. Auf den großen Festivals des Sommers (Carthage, El Jem, Hammamet etc) ist der Film wohl jetzt schon ein Erfolg, genauso wie in der lokalen Presse.
La télé arrive (Moncef Dhouib, Tun 2006, 1'32")

11.08.2006

Gelesen (III):

Für Empörung sorgt ein Text, den Jostein Gaarder (Sophies Welt etc) vergangene Woche in der norwegischen Zeitung Aftenpostenveröffentlicht hat. In seinem "haarsträubenden Frontalangriff" (taz) gegen Israel schreibt Garder schlichtweg an jeder politischen Realität vorbei und orientiert sich stattdessen an Bibelzitaten. Dass die Bibel in diesem Konflikt weiterhelfen könne, glaube wer will. Der vollständige Text steht in englischer Übersetzung auf der Homepage des Simon Wiesenthal-Centers (einschließlich empörter Antwort). Und ein Interview zum Thema mit dem (erstaunlich besonnenen) Schriftsteller Ralph Giordano steht bei Spiegel Online (auch wenn man über seine Aussagen zur Rolle der Hizbullah natürlich streiten kann).

No War! - Aufruf

Im Folgenden der Text des Aufrufs, der gestern in verschiedenen Tageszeitungen veröffentlicht wurde:
No War! We, Jews and Muslims, artists and scholars, citizens of the world, deplore the violence, militarization and shedding of innocent blood now taking place between Israel and its Arabic/Muslim neighbours in the Middle East. We refuse to allow our respective cultural and religious traditions to be hijacked into a grand-scale military conflict, one determined by transparent geo-political and geo-economic interests, in which the ancient clichés of good and evil are being cynically assigned to Western and Islamic civilisations. Those who take the time to review our histories will remember that Islamic, Jewish, Christian and other traditions in the Middle East have for centuries been intimately intertwined. In the midst of the presently evolving catastrophe, we call for an immediate cessation of hostilities and for the continuation of this fruitful and respectful interchange, which we are sure will endure.We, the undersigned, regard the current violent polarisation between the so-called West and the Islamic world as a perversion of our respective traditions.
Kein Krieg!Wir, Juden und Muslime, Künstler, Intellektuelle und Weltbürger, verabscheuen die Gewalt, Militarisierung und das Blutvergießen unschuldiger Menschen, das derzeit zwischen Israel und seinen arabischen und muslimischen Nachbarn stattfindet. Wir lassen es nicht zu, dass unsere jeweiligen kulturellen und religiösen Traditionen für einen groß angelegten militärischen Konflikt vereinnahmt werden, der von durchsichtigen geopolitischen und geo-wirtschaftlichen Interessen bestimmt wird und die westlichen und islamischen Zivilisationen auf zynische Weise uralten Klischees von "gut" und "böse" zuordnet. Wer sich die Zeit nimmt und sich unserer Geschichte erinnert, wird wissen, dass islamische, jüdische, christliche und andere Traditionen im Nahen Osten seit Jahrhunderten aufs Engste miteinander verwoben sind. Inmitten der sich abzeichnenden Katastrophe rufen wir zur sofortigen Waffenruhe und zur Weiterführung eines fruchtbaren und von Respekt geprägten Austauschs auf und vertrauen auf sein Gelingen.Wir, die Unterzeichnenden, halten die derzeitige gewalttätige Polarisierung zwischen der so genannten westlichen und der so genannten islamischen Welt für eine Perversion unserer jeweiligen Traditionen.
Bisherige Unterzeichner des Aufrufs: Prof. Bijan Abdolkarimi, Philosoph, Azad University, Teheran; Prof. Dr. Nasr Abu Zayd, Ibn-Rushd-Lehrstuhl für Humanismus und Islam, University of Utrecht; Sultan Acikgueloglu, Student der Islamwissenschaft, Berlin; Amir Hossein Afrassiabi, Dichter und Architekt, Rotterdam; Adonis, poète areligieux, Paris; Dr. Katajun Amirpur, Islamwissenschaftlerin Universität Bonn, Köln; Prof. Mahmoud Ayoub, Religion Department, Temple University, Philadelphia; Shelley Berlowitz, Historikerin, Zürich; Prof. Dr. Almut Sh. Bruckstein, Philosophin, Berlin; Prof. Daniel Boyarin, Taubman-Lehrstuhl für Talmudische Kultur, Universität Berkeley; Hady Chapardar, Kunstkritiker und Satiriker, Teheran; Sidney Corbett, Komponist, Berlin; Mojdeh Daghighi, Journalist und Übersetzer, Teheran; Sigrun Drapatz, Künstlerin, Berlin; Saeid Edalatnejad, Stiftung Encyclopaedia Islamica, Abt. für Recht und Theologie, Teheran; Daniela Fariba Vorburger, Politologin, Zürich; Nasser Ghiasi, Schriftsteller und Übersetzer, Heidelberg; Rev. Prof. Francis T. Gignac, Catholic University of America, Washington; Asst. Prof. Shai Ginsburg, Duke University, Durham/USA; Prof. Nilufer Gole, Soziologin, Ecole des Hautes Etudes, Paris; Prof. Galit Hasan-Rokem, Professur für Jüdische Studien der Hebrew University, Dichterin, Jerusalem; Dipl. Ing. Helmut Henseler, Deutsch-Jordanische Gesellschaft, Buxheim; Prof. Hannan Hever, Hebräische Literatur, Hebrew University Jerusalem; Dr. Carola Hilfrich, Franz Rosenzweig Institut, Jerusalem; Silvia Horsch, Arabistin und Germanistin, Berlin; Ass. Prof. Qadri Ismail, Literary Studies, University of Minnesota; Prof. Yasemin Karakasoglu, Lehrstuhl für Interkulturelle Pädagogik, Universität Bremen; Dr. Navid Kermani, Schriftsteller und Orientalist, Köln; Dr. Menachem Klein, Politische Wissenschaften, Bar Ilan University, Ramat Gan/Israel; Adalbert Kuhn, Bildungsreferent, Esslingen; Abdellah Lahrmaid, Sozialwissenschaftler, Rabat/Marokko; Prof. Luis Landa, Ben Gurion University, Beer Sheva; Ishay Landa, Historiker, Braunschweig; Tali Latowicki, Literaturwissenschaftler, Tel-Aviv; Prof. em. Alexander A. Di Lella, Bibelwissenschaften, Catholic University of America, Washington; Brigitte Meyer, Musikerin, St.Gallen/Schweiz; Dr. Ziba Mir-Hosseini, London Middle East Institute, University of London; Flora Mahdavi, Institute for the Study of Muslim Civilisations, The Aga Khan University (International), London; Dr. Mohammad M. Mojahedi, Politikwissenschaftler, Mofid University, Qom/Iran; Prof. Ivan Nagel, Schriftsteller, Berlin; Prof. Susan Neiman, Philosophin, Direktorin des Einstein Forums, Potsdam; Cem Özdemir, MdEP, Berlin/Brüssel; Dr. Hassan Rezaei, Jurist, Max Planck Institut für ausländisches und internationals Strafrecht, Freiburg; Meredith Reid Sarkees, Politikwissenschaftlerin, Crystal Lake/USA; Shreen Saroor, Friedensforscherin, Mannar Women Development Forum, Mannar/Sri Lanka, Dr Malek Sharif, Historiker, Wissenschaftskolleg zu Berlin und Orient-Institut Istanbul; Prof. Christoph Schmidt, Philosoph, Hebrew University Jerusalem; Dr. Yossef Schwartz, Tel Aviv University; Dr. Mohamad Nur Kholis Setiawan, State Islamic University, Yogyakarta/Indonesien; Hilal Sezgin, Autorin, Frankfurt/Main; Rashid Shaz, Verleger, New Dehli; Farzaneh Taheri, Verleger und Übersetzer, Teheran; Prof. Richard Tapper, School of Oriental and African Studies, University of London; Prof. Abdulkader Tayob, University of Cape Town; Jochi Weil-Goldstein, medico international schweiz, Zürich; Dr. med. Samuel Wiener-Barraud, Stäfa/Schweiz; Clare Wilde, Research Associate, Georgetown University, Washington; Prof. Ebtehal Younes, University of Cairo. Die Koordination der Aktion liegt bei Dr. Thomas Seibert von der Hilfsorganisation medico international. Kontakt: Dr. Thomas SeibertDort kann man auch unterzeichnen oder sich über den Ablauf der Aktion infomieren.

09.08.2006

8. Biennale des cinémas arabes (VII)

Endlich ein kurzer Bericht zum Kolloquium „Les condition nécessaires à l’émergence d’un marché du cinéma euro-arabe“, moderiert vom algerischen Kritiker und Produzenten Ahmed Bedjaoui.
Um es kurz zu fassen: europäische Filme kommen im arabischen Raum genauso wenig an wie arabische in Europa. Und wenn überhaupt, dann auf eher kompliziert gewundenen Pfaden. Der Vormittag war dem arabischen Raum gewidmet. Bedjaoui betonte die Bedeutung des Kinos für die Bevölkerung, denn Bilder seien eben gerade keine Regierungs-Communiques, sondern Ausdruck des Lebens, notwendig, um zu existieren. In Europa seien arabische Filme jedoch fast nur im „Ghetto“ der Festivals zu sehen. Gleiches beklagte auch Ali Abou Chadi, Direktor des Nationalen Ägyptischen Filmzentrums. Und dies gelte ebenso für europäische Filme in der arabischen Welt, wo vor allem amerikanische und indische Filme dominieren – neben dem ägyptischen Unterhaltungskino, versteht sich. Höchstens durch private Initiativen wie etwa die von Manal Khoury, ein europäisches Festival zu organisieren, seien die Filme dem Publikum überhaupt zugänglich (abgesehen von DVDs, die gleichzeitig die Möglichkeit bieten, die Zensur zu umgehen). Abdel Kader Benkiran, Präsident des marokkanischen Verleiherverbandes, beklagte die katastrophale Verschlechterung in seiner Heimat. Die Zahl der Verleiher sei von 30 in den 80er Jahren auf gerade einmal 3 zurückgegangen, die Zahl von 20 Millionen Zuschauern pro Jahr auf 4 Millionen im vergangenen Jahr, die der Säle von 250 auf 80 im ganzen Land (Tunesien weist eine ähnliche Entwicklung auf, dort haben in den vergangenen zwei Jahren sechs Kinos geschlossen, es verbleiben nur noch rund 15 von ehemals ca. 80 Sälen). Schuld an der Entwicklung seien vor allem die Satellitenschüsseln und die wachsenden Filmpiraterie, die es erlaubt, an jeder Ecke aktuelle Filme für 2 bis 3 Euro zu kaufen, lange bevor sie es auf die marokkanischen Leinwände schaffen. Traurige Bilanz: „Le cinéma au Maroc n’existe plus.“ Ähnlich schlimm die Situation in Algerien: Trotz dem Aufwind, in dem sich die Kultur nach dem Ende des Bürgerkriegs befindet, gibt es gerade einmal fünf Kinos, von denen drei Säle auch für Musik und Theater genutzt werden, um überhaupt kostendeckend zu arbeiten, berichtet der Produzent und Verleiher Hachemi Zertal (Cirta Films, Clair Obscur). Auf staatlicher Seite herrsche eine Politik des non-faire, private Initiativen erfahren keinerlei Unterstützung, beklagte er. Im Gegensatz zu Benkiran sieht Zertal jedoch auch positive Effekte der Piraterie. Viele Menschen würden die Filme in den Kinos schon kennen, nutzten jedoch die Möglichkeit, sie noch einmal auf der großen Leinwand zu sehen. Dies träfe zum Beispiel für Merzak Allouaches Chouchou oder Nadir Mokneches Viva Laldjerie zu, die mit 40 000 bis 50 000 Besuchern relativ erfolgreich waren. Einzig Mohsen al-Mokadem, Direktor von Qatar Cinéma & Filmdistribution Co, hatte auch positives zu berichten. Immerhin gäbe es in den Emiraten 232 Kinos. Mit 17 europäischen Filmen (von 3000 gesamt) war deren Stellenwert 2005 jedoch ebenfalls gering. Dies sei einerseits dem Scheitern europäischer Verleiher zu schulden, die nur geringes Interesse am arabischen Markt zeigten, andererseits auch der zunehmenden und viel beklagten Amerikanisierung der Kultur (außer ägyptischen Filmen liefen keine anderen arabischen Filme in Qatar). Ergebnis des Vormittags: Es fehlt sowohl an einer guten Zusammenarbeit europäischer und arabischer Verleiher, als auch an dem vielbeschworenen marché sud-sud. Der Nachmittag war dann der Distribution arabischer Filme in Europa gewidmet. Die Situation ist ebenfalls kläglich, die Filme kommen im Normalfall weder ins Kino, noch ins TV oder auf DVD (noch nicht mal als Raubkopie an jeder Straßenecke). Eric Lagesse von Pyramide Distribution zeichnete den Erfolgsweg von Elia Suleimans Intervention Divine nach, der Dank ein bisschen Mut von Verleihern, Festival-Auswahlkomitees und Jurys und Dank von Anfang an hervorragendem Presseecho von Cannes aus die Welt eroberte. André de Margerie, Direktor der Internationale Beziehungen von Arte France, präsentierte einen Haufen Zahlen. Fakt ist: 86% des Arte-Programms, der ja primär per Staatsvertrag und in seinem Selbstverständnis ein europäischer Kulturkanal ist, ist europäisch. Bleiben noch 14% für den Rest der Welt. Und die wollen gerecht aufgeteilt werden. Von den 20 pro Jahr (co-) produzierten Filme ist dann auch die Hälfte französisch. Und auch die außer-europäischen Projekte müssen von einem französischen Produzenten vorgelegt und zumindest co-finanziert sein. So ging die Rechnerei noch eine Weile weiter, mit dem Ergebnis, dass wenig Platz ist für arabische (Tele-)Filme (circa 2 oder 3 pro Jahr). Auch Christoph Terhechten (Berlinale Forum) und Berlinale-Chef Dieter Kosslick kamen zu Wort und hoben vor allem die Bedeutung des Talent Campus und des World Cinema Funds hervor, der in den Tat den Vorteil hat, dass das Geld nicht in einem bestimmten Land (i.d.R. dem der Geldgeber) ausgegeben werden muss. Ansonsten aber viele hohle Floskeln und ein unerträglicher Tonfall („my country – your countries“), der verdammt nach neokolonialistischer Attitüde klang (Im Sinne von: "Das große Europa muss den armen unterentwickelten Arabern helfen, Filme zu machen") – da wäre ein marché sud-sud eben doch die vorzuziehende Variante. Zum Abschluss wurden dann noch das Programm Euromed Audiovisual II und La Caravane vorgestellt.

08.08.2006

Gelesen (II)

Bahman Nirumand: Iran. Die drohende Katastrophe
Bahman Nirumand hat schon einmal die deutsche Geschichte entscheidend geprägt. Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der freien Welt, das erste Buch des Exiliraners, war einer der Auslöser für die Demonstrationen gegen den Schah im Juni 1967. Jetzt, fast 30 Jahre später, hat der Autor und Journalist (er schreibt regelmäßig für die taz), profunder Kenner des Landes, erneut eine Analyse des Iran vorgelegt, die Modellcharakter hat: Iran. Die drohende Katastrophe. Auf rund 200 Seiten zeichnet Nirumand noch einmal den Verlauf des Atomstreits nach, erläutert europäische und amerikanische Verwicklungen in die iranische Geschichte und erklärt das Verhältnis zwischen Religion, Staat und Zivilgesellschaft im Iran. Die Analyse des Atomstreits ist minutiös und daher zuweilen etwas ermüdend zu lesen, genau so wie der Rückblick in die iranische Geschichte. Doch sie sind notwendig, denn ohne den historischen Kontext zu kennen, lässt sich die heutige angespannte Situation und lassen sich die tiefen Aversionen gegen amerikanische „Demokratiebemühungen“ nur schwer verstehen. Doch Nirumands Buch ist keineswegs nur in die Vergangenheit gerichtet. Den weit größten Teil nimmt die gegenwärtige Lage an (noch Ereignisse aus dem Frühjahr 2006 werden berücksichtigt). Dabei spart der Autor nicht mit Kritk – weder an der iranischen Mullahkratur, noch an Präsident Ahmadinedschad oder seinem Vorgänger Chatami. Genauso wenig spart er jedoch das Ausland aus, sondern nimmt die Politik der EU-Staaten, die Rolle Russlands und Chinas, Israels und natürlich die der Vereinigten Staaten unter die Lupe. Besonders gut kommt dabei keiner der Genannten weg. Hoffnung macht die immer tiefer greifende Wandlung der iranischen Zivilgesellschaft (mit rund 2/3 unter 30-Jährigen) sowie die wachsende Anzahl der religiösen Reformer, die – im Gegensatz zu etwas Großbritannien oder Frankreich – in Deutschland nach wie vor kaum beachtet werden. (Die würden ja auch das medial-politisch so schön konstruierte und propagierte Feindbild Islam ganz schnell aufbrechen). Im Nachwort spricht sich Nirumand angesichts der „bedrohlichen Lage“ für einen Kurswechsel der europäischen Staaten aus. Die Erlaubnis, dem Iran unter Kontrolle der IAEA auf niedriger Ebene Uran anzureichern (was ihm laut Atomwaffensperrvertrag ausdrücklich zusteht), hätte die moderaten Konservativen erreicht und die radikalen Islamisten isoliert. Doch das gegenwärtige Vorgehen spalte die Zivilgesellschaft und zwinge sie zur Solidarität mit den Radikalen, so Nirumand. „Die radikalen Fundamentalisten in Teheran und Washington sind dabei, die Welt in eine Katastrophe zu treiben. Sie aufzuhalten, wäre Europa aufgerufen. Die EU-Staaten müssten wieder aus dem amerikanischen Boot aussteigen, sie müssten nein sagen zu einem Krieg, nein sagen zu einem Einsatz der NATO, und auf diplomatischem Weg versuchen, gemeinsame mit den politischen Strömungen und vor allem mit der Zivilgesellschaft im Iran einen Konsens zu finden und so die Fundamentalisten innerhalb und außerhalb des Iran zu isolieren.“ Bis jetzt lasse sich jedoch keine gemeinsame europäische Perspektive erkennen. „Auch deshalb gehen wir nun sehenden Auges einer Katastrophe entgegen.“ Ich kann mich Bahman Nirumand nur anschließen. Sein Buch ist Pflichtlektüre! Bahman Nirumand: Iran. Die drohende Katastrophe, Kiepenheuer & Witsch, 2006

07.08.2006

Bled Number One

Bled Number One ist eine Entdeckungsreise. Eine lange subjektive Kamerafahrt führt den Zuschauer zu Beginn durch die algerische Provinz, bis er schließlich in einem kleinen Dorf ankommt. Doch nicht nur der Zuschauer entdeckt, sondern auch Kamel, verkörpert von Regisseur Rabah Ameur-Zaimeche. Nach einer Gefängnisstrafe aus Frankreich, gewissermaßen dem Bled No.2, ausgewiesen (Wesh wesh, qu’est-ce qui se passe?), kehrt er in das Land seiner Eltern, sein Bled No.1 zurück. Und entdeckt, neugierig, aber ohne alle Zusammenhänge oder gar die Sprache zu verstehen, ohne zu bewerten. Er entdeckt die Familie, aber auch die Schrecken des Integrismus, denen er in der Enge des Dorfes nicht entgehen kann. Ameur-Zaimeche, studierter Soziologe und filmischer Autodidakt, ist ein Meister der stillen Beobachtung. Er verzichtet fast völlig auf Effekte, sondern lässt seine dokumentarisch anmutende Kamera auf den Figuren verweilen. Er filmt die Verdrängung, das Schweigen, den unmöglichen Versuch, zu vergessen. Er verzichtet auf überladene politische Dialoge. Es reicht ihm, seinen Helden und damit auch die Zuschauer nach Algerien zu entführen. Dieses Land betrachtet der Heimkehrer mit einem doppelten Blick, dem des Fremden und dem des Einheimischen. Das langweilt keineswegs, sondern erzeugt eine ungeheure Spannung. Denn irgendwo im Hintergrund lauert eine ständige Bedrohung, die jedoch nie angesprochen wird. Sie manifestiert sich stattdessen in einzelnen Gewaltausbrüchen von Fundamentalisten oder der Geschichte einer jungen Frau, die, vom Ehemann verstoßen, sich von einer bekannten Selbstmörder-Brücke stürzen will und dann in die Psychatrie eingewiesen wird (übrigens zwei Orte aus Malek Bensmails herausragendem Dokumentarfilm Alienations). Der algerische Bürgerkrieg mag vorbei sein, doch aus den Köpfen ist er allenfalls ins Unbewusste verdrängt worden. Wie stark seine Folgen noch immer den Alltag prägen, zeigt Ameur-Zaimeche in seinem ungeheuer starken zweiten Spielfilm.
Bled No.1 (Rabah Ameur Zaimeche, Frankreich 2006)

05.08.2006

Gelesen (I)

Joann Sfar: Le chat du Rabbin (1 - 4) Die Franzosen haben es ja schon lange gewusst: Comics sind nicht nur für Kinder. „BD“-Abteilungen gibt es in jeder Buchhandlung, viele Zeichner und Autoren genießen Kultstatus. Joann Sfar ist einer der ganz Großen. Ein Meister des Erzählens, der Poesie, des Humors. Seine (bisher vier) Comicbände über eine Katze und ihren Herren, einen algerischen Rabbi, sind Lehrstunde und beste Unterhaltung zugleich. Die Idee ist so einfach wie genial. Eine, bisweilen sprechende, Katze folgt ihrem Herren und befragt ihn über allerlei Dinge des täglichen Lebens. Sie übernimmt die Rolle eines Kindes, dem es erlaubt ist, subversive und kritische Fragen zu stellen. So spinnt Sfar Geschichten voller Humanismus über jüdisches Leben in Nordafrika, über Exil und Toleranz. Die Katze des Rabbiners und weitere Werke von Joann Sfar sind jetzt im Avant-Verlag auch auf Deutsch erschienen.

8. Biennale des cinémas arabes (VI)

Der Dokumentarfilmwettbewerb (kurz) Ein Niemandsland an der jordanisch-irakischen Grenze nimmt Nassim Amaouche in Quelques miettes pour les oiseaux (Algerien/Jordanien/Frankreich 2005) unter die Lupe. An der Tankstelle in der Wüste kommen nur wenige Händler vorbei, um eine Pause einzulegen, zu tanken, zu essen, mit einer der Prostituierten zu schlafen. Die langweilen sich die meiste Zeit, denn nichts passiert. Amaouche ist eine fabelhafte Beobachtung dieser Durchgangsstation gelungen, an der die Zeit still zu stehen scheint, während sie doch mitten in einem der größten Krisengebiete der Welt liegt. (Preis für den besten kurzen Dokumentarfilm) Auch in Toi, Waguih (Ägypten/France 2005) ist die Politik nur ein Schatten, der sich über den Film legt. Namir Abdel Messeh befragt seinen Vater, einen ehemaligen Kommunisten, der nach seiner Inhaftierung unter Nasser inzwischen in Frankreich lebt, nach seiner Vergangenheit. Am Anfang will er nicht reden, flüchtet sich in „wir“s, „die Gruppe“, „die Kameraden“. Doch die Pensionierung steht an, das Leben von Waguih ändert sich einmal mehr, und langsam beginnt er, sich seinem Sohn und der Vergangenheit mit all ihren Widersprüchlichkeiten zu öffnen. Ein sensibles Porträt, das völlig ohne große Gesten und Effekte auskommt. (Mention speciale) Zwei Filme aus dem Libanon stachen aus dem breitgefächerten Programm heraus, dass wie die langen Dokumentarfilme von Fernseh-geprägten Reportagen dominiert wurde: Ca sera beau – From Beyrouth with love (Wael Noureddine, Libanon/Frankreich 2005) und Le Trou (Akram Zaatari, Libanon 2005). Beiden geht es um die Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg, beide leisten dies in ungewöhnlicher Form. Ca sera beau zeigt Bilder von Beyrouth (es könnte auch jede andere Nachkriegsstadt sein), die normalerweise nicht auf der Leinwand erscheinen: Keller mit Drogenabhängigen, wo es Heroin für 5 Dollar gibt – Innenansichten einer Gesellschaft, in der die Spaltungen trotz aller Bemühungen weiter bestehen, in einer assoziativen Montage zu einem poetisch-beklemmenden Stadtbild zusammengefügt. Le Trou zeigt deutlich, dass Zaatari aus der lebendigen libanesischen Videokunstszene kommt. Zwei Screens: Auf dem einen buddelt jemand (den Kopf sehen wir nicht) ein Loch. Auf dem anderen beginnt eine Reportage des Regisseurs über einen ehemaligen Bürgerkriegskämpfer. Der hatte am Ende des Kampfes einen Brief an die Nachwelt hinterlassen und im Garten des Hauses vergraben, in dem er sechs Jahre lang Quartier bezogen hatte. Daher also das Loch, denn Zataari sucht den Brief. Und stößt dabei auf gewaltige Widerstände. Die Geschichte sollte lieber Vergangenheit bleiben, vergraben irgendwo in der Provinz. Ein weiterer Gewinner war Issa Freijs Le Dernier printemps à Abu Dis (Palästina/Schweiz 2005), einem kleinen Örtchen an der Mauer. Freij folgt den Bauarbeiten und hört den Anwohnern zu. Unaufdringlich registriert die Kamera jede kleine Veränderung, bei den Bauarbeiten ebenso wie bei den Menschen, die davon betroffen sind. Formal und inhaltlich stimmig erinnert der Film jedoch stark an Simone Bittons Mur.

04.08.2006

8. Biennale des cinémas arabes (V)

Der Dokumentarfilmwettbewerb (lang) Lamine, la fuite (Algerien/Frankreich 2005) porträtiert einen algerischen Mit-Dreißiger, einen modernen Omar Gatlato, der von nichts mehr träumt, als nach Frankreich zu gehen. Heiraten, arbeiten – all das interessiert ihn nicht. Doch Frankreich ist weit, zumindest mit einem algerischen Pass. Samia Chala begleitet Lamine in den Straßen und Cafés von Algier. Samia Chala hat für ihren Dokumentarfilm eine Figur ausgewählt, die genau dem entspricht, was man als europäischer Zuschauer erwartet. Er kennt das Land seiner Träume nur aus dem Fernsehen und entbehrt jeglicher Reflexion. Algerien hat für ihn nur negative Seiten. Doch statt dieses Bild aufzubrechen, zu hinterfragen, folgt Chala ihm bedingungslos. Differenzierter kommt Amina ou la confusion des sentiments (Laurette Mokrani, Algerien/Frankreich 2005) daher, Porträt eines algerischen Teenagers. Vor dem Bürgerkrieg geflohen lebt sie mit ihrer Familie in Frankreich. Sie ist intelligent, erfolgreich und hat ein unglaubliches Reflexionsvermögen. Ihr Leben wäre wohl perfekt, wären da nicht die schrecklichen Erinnerungen an den Bürgerkrieg, die sie immer wieder heimsuchen. Und das Heimweh. Mokrani zeichnet ein bewegendes Porträt eines jungen Mädchen, hin- und hergerissen zwischen zwei Ländern, zwischen Freiheit und Familienbande. Eine eindeutig politische Entscheidung war wohl der Preis für Rashid Mashrawis Arafat, mon frère (Palästina/Frankreich/Kanada). Da er an den „großen“ Arafat nicht herankommt, porträtiert er den, der ihm am nächsten Stand: seinen Bruder Fathi Arafat, Arzt und Gründer des palästinensischen Roten Halbmondes. Der sterbenskranke alte Mann sitzt da, zeigt Fotos aus dem Familienalbum, erzählt Anekdoten. Und Mashrawi (Haifa, Curfew) folgt ihm bedingungslos. Nach Paris zur Chemotherapie, zurück ins Exil nach Kairo, nach Ramallah zum Abendessen mit Yassir Arafat. Nur einmal verliert er die Orientierung und dreht ein Making Off seines eigenen Films Attente/Casting in Palästina. Langsam entwickle er Sympathie für den alten Herren, sagt er einmal. Das ist milde ausgedrückt. Man könnte es auch bedingungslose Zustimmung nennen, so offensichtlich ist der Distanzverlust des Regisseurs, der jeder noch so belanglosen (politischen) Floskel Arafats huldigt. In Retour au pays des merveilles (Irak/GB 2004) erkundet Maysoon Pachachi nach über 30 Jahren Exil das Baghdad, wo sie ihre Kindheit verbracht hat. Viel hat sich seitdem verändert, vor allem kann sie jetzt, direkt nach dem Krieg kaum alleine auf die Straße. Pachachis über 80-jähriger Vater, früherer Botschafter Iraks, ist Mitglied der Übergangsregierung und arbeitet in Baghdad am neuen Verfassungsentwurf. Beyrouth: vérités, mensonges et vidéos (Mai Masri, Palästina/Libanon 2006) zeigt den Libanon nach dem Mord an Premier Rafiq Hariri. Am Platz der Martyrer steht ein Camp verschiedener zivilgesellschaftlicher und politischer Gruppierungen. Drei Monate harren sie dort aus, diskutieren, hoffen, überzeugen, demonstrieren. Mai zeigt das Entstehen neuer gesellschaftlicher Allianzen jenseits religiöser Gräben, folgt vor allem einer jungen Frau, Nadine, die feststellen muss, wie sich ihre Hoffnung, ihr Enthusiasmus im Sand verläuft, in den Mühlen der Politik. Am Ende hat sich ihr Land nur wenig verändert, aber die junge Aktivistin ist eine andere geworden. Depuis que tu n’es plus là (Palästina 2005) ist eine Hommage des palästinensischen Schauspielers Mohammd Bakri (u.a. Haifa) an seinen Mentor, den Intellektuellen und Schriftsteller Emile Habibi. Um mit dessen Tod umgehen zu können, geht er zu dessen Grab und erzählt ihm, wie sich die Welt verändert. Und sie verändert sich gewaltig. Als Bakri gerade mit der israelischen Justiz um die Freigabe seines Film Jenine, Jenine kämpft, ereignet sich ein Selbstmordanschlag. Daran beteiligt: zwei Cousins von Bakri. Außergewöhnlich offen geht der Schauspieler mit diesem dunklen Teil in seinem Leben um. Zunehmend von den Strapazen gezeichnet, von den Anfeindungen, Boykottaufrufen, Hetzkampagnen von Teilen der israelischen Presse und dem Gerichtsverfahren um seinen Film macht Bakri bestimmt keinen objektiven Film, dazu ist er viel zu persönlich, Bakris Schicksal zu sehr mit dem seines Heimatlandes verknüpft. Aber sein Wert liegt darin, dass er schonungslos und ehrlich auch dem engsten eigenen Umfeld gegenübertritt.

8. Biennale des cinémas arabes (IV)

Der Kurzfilmwettbewerb (Fiktion) Aujourd’hui 30 novembre (Mahmoud Soliman, Ägypten 2004), versucht ein junger Mann sich umzubringen. Wie jeden 30. November der vergangenen Jahre. Nie hat es geklappt. Wieder schreibt er einen Abschiedsbrief, wieder hofft er, dass ihn niemand von seinem Vorhaben abhält. Seinem Wohnungsschlüssel drückt er spontan einem jungen Liebespaar in die Hand. Und wieder macht er sich auf den Weg nach dem richtigen Ort, sein Leben zu beenden. Dabei folgt ihm die Kamera durch Kairo, am Nil entlang, durch die staubigen Straßen und den hupenden Verkehr. Denn eigentlich geht es gar nicht so sehr um den Selbstmord, sondern um die Beziehung dieses jungen Mannes zu dieser Stadt, einer Hassliebe. Er leidet an ihr und kann ihr doch nicht entrinnen. Am 1.Dezember wacht er auf einer Bank wieder auf. Die Hassliebe verlängert sich erneut um ein Jahr. In Hier encore (Rima Samman, Libanon/Frankreich 2006) macht sich der Exillibanese Simon Tabet auf die Suche nach seiner jüngeren Schwester Nirane, die er in Marseille glaubt. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs hat er sie nicht mehr gesehen, Schuldgefühle sind sein ständiger Begleiter. Samman folgt Simons schmerzhafter Suche nach seinen Wurzeln, zeigt die Angst davor, von der Schwester zurückgewiesen zu werden, und den Wunsch, wieder so etwas wie Heimat im Exil zu finden. Der marokkanische Regisseur Mohamed Miftah zeigt in Autorisation parentale (2005) auf eindrückliche Weise, wie soziale Normen reproduziert werden. „Wie der Vater, so der Sohn“ scheint in diesem kleinen Ausschnitt aus dem Alltag das Motto zu lauten. Als der Vater vor dem Fernseher einschläft, ist es der jüngste Bruder, der seine Schwestern im Auge hat und bei vermeintlich anstößigen Szenen sofort reagiert. Le Défunt (Rachid al-Ouali, Marokko 2005) ist eine humoristische Variation des Rashomon-Prinzips. Von wegen man solle nichts Schlechtes über die Verstorbenen sagen: Während den Vorbereitungen zur Totenfeier tritt so nach und nach jeder Angehörige ins Bild und gibt seine Meinung zum verstorbenen Preis. Der dann wohl doch nicht ganz so heilig war, wie man am Anfang dachte. Une place au soleil (Rachid Boutounès, Marokko/Frankreich 2004) hatten sich wohl viele maghrebinische Arbeitsmigranten in Frankreich erhofft. Boutounes erzählt die einfache, aber umso eindrücklichere Geschichte von Ahmed. Müllmann war er. In einer einfachen Jacke und mit einer großen Wollmütze streift er nach seiner Pensionierung durch die Straßen von Paris. Und geht sich einen Anzug kaufen. Wie verwandelt sieht er darin aus. Der Grund: die Verleihung eines Ordens wegen besonderer Verdienste um die Stadt. Einen Tag später: das Foto ist nach Hause geschickt, der Anzug abgelegt, und Ahmeds Leben geht so weiter wie bisher. Fast wie bisher. Der Film lebt vor allem vom subtilen Schauspiel Ahmed Amidous, auf dessen Gesicht Stolz, Heiterkeit und leichte Melancholie Hand in Hand gehen. Mitten in den Alltag führt auch Un Lundi (Tamer al-Said, Ägypten 2005), ein kleiner Film über kleine Gesten, die den Alltag ein klein bisschen verändern, über die Aufmerksamkeit und wiedererwachende Liebe. Kongenial adaptiert Rami Abdul Jabbar in La Maison de chair (Ägypten 2005) eine Kurzgeschichte des Schriftstellers Yussuf Idriss über eine Witwe und ihre drei Töchter. Von den Mädchen gedrängt will die Mutter einen blinden Cheikh heiraten. Doch in ihrem Haus, eng und fast so dunkel wie die Welt des Blinden, entspinnt sich eine Beziehung zwischen dem Cheikh und einer der Töchter. „In Schweden sagt man, dass sein ein 100% schwedischer Film“, erklärt der irakische Regisseur Shaker K. Tahrer. In Un joueur de football à minuit (Irak/Schweden 2005) feiert man Weihnachten, ohne wirklich zu feiern. Die Atmosphäre ist kalt und unfreundlich. Man feiert um der Tradition willen das Fest der Liebe, nicht um der Liebe willen. Auf einmal steht der Weihnachtsmann vor der Tür und will mit dem Sohn der Familie Fußball spielen. Eigentlich ist es völlig egal, ob es nun Weihnachten oder Aid oder ein schwedischer oder irakischer Film ist. Es ist eine ergreifende, präzise erzählte Geschichte. Was ihr eigen ist, ist der genau beobachtende Blick, den vielleicht nur jemand hat, der ein klein wenig außerhalb steht. Egal wo er ist und woher er kommt.

03.08.2006

Volver

Der neue Film von Pedro Almodóvar kommt heute endlich auch in Deutschland ins Kino. Absolut sehenswert! Ein Friedhof in der spanischen Provinz La Mancha: ein Heer von Witwen putzt voller Hingabe die Grabsteine der verstorbenen Angehörigen. Die wichtigste Botschaft etabliert Pedro Almodóvar gleich zu Beginn: Die Frauen überleben. Männer haben in diesem rein weiblichen Universum keine Chance. Volver, „Zurückkehren“ heißt Almodóvars neuster Film, eine Familientragödie, die drei Generationen umfasst. In einem Arbeiterviertel von Madrid schuftet Raimunda (Penélope Cruz), um sich und ihre pubertierende Tochter Paula durchzubringen. Ihre geschiedene Schwester Sole betreibt in ihrer Wohnung einen illegalen Friseursalon. Und in einem kleinen Dorf in der Provinz kümmert sich die krebskranke Augustina um eine betagte Nachbarin, die Tante von Raimunda und Sole. Die alte Dame stirbt bald, dafür erscheint Irene (Carmen Maura) wieder, der Geist der Mutter der Schwestern, die vor Jahren bei einem Brand ums Leben gekommen sein soll.
Der Film ist gleich in mehrerer Hinsicht eine Rückkehr: die Vergangenheit holt die Heldinnen ein, als sie ins Dorf ihrer Kindheit zurückkehren. Doch in Volver kommt auch die Schauspielerin Penelope Cruz von Hollywood nach Spanien und zu Almodóvar zurück, ebenso wie die wunderbare Carmen Maura, die nach 18 Jahren erstmals wieder mit dem spanischen Kultregisseur zusammenarbeitete. Der wiederum besinnt sich ebenfalls auf seine Wurzeln, auf La Mancha, wo er aufgewachsen ist, und auf die rein weibliche Welt seiner frühen Filme. Dass Raimundas Ehemann keine lange Karriere bevorsteht, ist schnell klar. Gerade arbeitslos geworden sitzt er auf dem Sofa, schaut Fußball, trinkt Bier und stiert gierig seiner Tochter Paula hinterher. Raimunda macht währenddessen den Abwasch und man könnte meinen, die Kamera interessiere sich vor allem für das Dekollete von Penelope Cruz, als sie ihr beim Spülen zuschaut. Doch die hat gerade ein auffällig großes Messer in der Hand, und die Karriere des Ehemanns endet bald darauf als Leiche in einer Tiefkühltruhe. Die Frauen sind endlich unter sich, die Probleme damit jedoch keineswegs geringer.
La Mancha hätte die meisten Verrückten pro Einwohner, heißt es einmal im Film. Der Wind, der unaufhörlich durch die Dörfer bläst, der auch das Feuer anfachte, in dem Raimundas Eltern verbrannten, der scheint auch die Köpfe etwas zu verwirren. Da wundert sich auch niemand, als die totgeglaubte Irene wieder auftaucht, denn Geister gehören zum Leben dazu. Meisterhaft inszeniert Pedro Almodóvar diese beinahe surrealistisch anmutende Grundidee, das Hin und Her zwischen Leben und Tod. Doch es geht dabei äußerst pragmatisch und wenig übersinnlich zu: (Der Geist von) Irene steigt aus dem Kofferraum von Soles Auto, versteckt sich unter dem Bett und furzt. Die Heldinnen, ja der ganze Film sind erdig wie La Mancha, bunt, aber weniger stilisiert als in den früheren Filmen des spanischen Regisseurs. Penélope Cruz hat dabei jegliche Hollywood-Attitüde abgelegt. Sie ist keine artifizielle Retortenschönheit mehr, sondern ein warmherziges Wesen. Sexy, aber mit verstrubbelten Haaren kämpft sie sich durchs Leben. Und als sie in einer ergreifenden Szene einen Tango singt, den sie als Kind von ihrer Mutter gelernt hat, da hält man ihre Filmtränen unweigerlich für echt. Auf großartige Weise meister Almodóvar die Fallhöhe zwischen grotesker Komik und Melodram. Der Tragik der Figuren, immer auf der Suche nach Lösungen, um der Tristesse des Lebens zu entfliehen, verleiht er eine Leichtigkeit und Würde, die im zeitgenössischen Film ihresgleichen sucht. Und so entsteht ein meisterhaftes Werk über den Tod, der das Leben feiert.

02.08.2006

Der Krieg und die Kunst

Zur Diskussion: Drei Petitionen zum Thema, von europäischen, libanesischen und israelischen Intellektuellen und Regisseuren (gefunden auf: www.tamonavis.blogspot.com) Les cinéastes en soutien aux libanais Le dernier chapitre du conflit entre Israël et la Palestine a commencé quand les forces israéliennes ont enlevé deux civils, un docteur et son frère, de Gaza. Un incident à peine relaté, sauf par la presse turque. Le lendemain, les Palestiniens ont fait prisonnier un soldat israélien - et proposé un échange négocié contre des prisonniers en Israël - il y en a approximativement 10 000 dans les geôles israéliennes.Que ce "kidnapping" soit considéré comme un outrage, tandis que l'occupation militaire illégale de la rive ouest et l'appropriation systématique de ses ressources naturelles - en particulier l'eau - par les forces de défense israélienne (!) sont considérées comme un regrettable, bien que réaliste, fait divers, est typique du double discours régulièrement servi depuis 70 ans par l'Occident aux Palestiniens, sur la terre qui leur a été allouée par des accords internationaux. Aujourd'hui l'outrage suit l'outrage ; des missiles artisanaux en croisent des sophistiqués. Ces derniers atteignent habituellement leur cible là où vivent entassés les déshérités, attendant ce qu'on a coutume d'appeler la Justice. Les deux catégories de missiles déchiquètent les corps dans l'horreur - qui d'autres que les officiers sur le terrain peuvent l'oublier un seul instant ?Chaque provocation et contre-provocation est contestée et prônée. Mais tous les arguments, accusations et vœux qui s'en suivent, ne servent qu'à distraire et détourner l'attention du monde d'une longue pratique militaire, économique et géographique à long terme dont le but politique n'est rien d'autre que la liquidation de la nation palestinienne.Ceci doit être dit haut et fort parce que cette pratique, seulement à moitié avouée et souvent secrète, avance rapidement ces jours-ci, et, à notre avis, doit être reconnue, sans délai et pour toujours, pour ce qu'elle est et dénoncée. John Berger, Noam Chomsky, Harold Pinter, José Saramago PÉTITION POUR LE LIBAN DES CINÉASTES LIBANAIS Le Liban brûle.Depuis une semaine, Israël bombarde le Liban, Jusqu'à présent, le bilan est de plus de 300 morts et d'un millier de blessés. 500 000 personnes ont quitté leurs maisons et sont devenues des réfugiés. Et le peuple libanais est pris en otage sur son sol, en violation de toutes les conventions internationales. Parallèlement Israël procède à la destruction de toutes les infrastructures (routes, ponts, centrales électriques, aéroports et ports civils...) et institutions de la République Libanaise (armée, défense civile, croix rouge...).À l'heure où certains clament que toute nation a le droit de se défendre, le Liban, même à genoux, refuse cet engrenage irresponsable. L'armée libanaise, continuellement bombardée, a reçu comme consigne de ne pas répliquer. Face à ce message de Paix, Israël poursuit pourtant ses attaques.Face à une situation humanitaire catastrophique, nous cinéastes, intellectuels, artistes libanais demandons l'arrêt de la violence et exigeons un cessez le feu immédiat.Nous lançons un appel à la communauté internationale et particulièrement au peuple français, à ses cinéastes, à ses intellectuels, à ses artistes, afin de faire pression sur ses représentants politiques et exiger le respect des résolutions des Nations Unies sans exception et surtout le respect des droits de l'homme.C'est un cri, un appel pour la défense de la République et de la Nation Libanaise, message et symbole de pluralité et diversité. Votre mobilisation, votre signature, comptent.Envoyez vos signatures à : info@neabeyrouth.org / danielle@neabeyrouth.org MESSAGE DE SOLIDARITÉ AUX CINÉASTES PALESTINIENS ET LIBANAIS Nous, cinéastes israéliens, saluons tous les cinéastes arabes réunis à Paris pour la Biennale du cinéma arabe. À travers vous, nous voulons envoyer un message d'amitié et de solidarité à nos collègues libanais et palestiniens qui sont actuellement assiégés et bombardés par l'armée de notre pays.Nous nous opposons catégoriquement à la brutalité et à la cruauté de la politique israélienne, qui a atteint de nouveaux sommets au cours des dernières semaines. Rien ne peut justifier la poursuite de l'occupation, de l'enfermement et de la répression en Palestine. Rien ne peut justifier le bombardement de populations civiles et la destruction d'infrastuctures au Liban et dans la bande de Gaza.Permettez nous de vous dire que vos films, que nous nous efforçons de voir et de faire circuler autour de nous, sont très importants à nos yeux. Ils nous aident à vous connaître et à vous comprendre. Grâce à ces films, les hommes, les femmes et les enfants qui souffrent à Gaza, à Beyrouth, et partout où notre armée déploie sa violence, ont pour nous des noms et des visages. Nous voulons vous en remercier, et vous encourager à continuer de filmer, malgré toutes les difficultés.Quant à nous, nous nous engageons à continuer d'exprimer, par nos films, par nos prises de paroles et par nos actions personnelles, notre refus de l'occupation et notre désir de liberté, de justice et d'égalité pour tous les peuples de la région.Nurith Aviv, Ilil Alexander, Adi Arbel, Yael Bartana, Philippe Bellaïche, Simone Bitton, Michale Boganim, Amit Breuer, Shaï- Carmeli-Pollack, Sami S. Chetrit, Danae Elon, Anat Even, Jack Faber, Avner Fainguelernt, Ari Folman, Gali Gold, BZ Goldberg, Sharon Hamou, Amir Harel, Avraham Heffner, Rachel Leah Jones, Dalia Karpel, Avi Kleinberger, Elonor Kowarsky, Edna Kowarsky, Philippa Kowarski, Ram Loevi, Avi Mograbi, Jad Neeman, David Ofek, Iris Rubin, Abraham Segal, Nurith Shareth, Yael Shavit, Julie Shlez, Eyal Sivan, Eran Torbiner, Osnat Trabelsi, Daniel Waxman, Keren Yedaya.contact : Simone Bitton : simoneb@noos.fr / Avi Mograbi: mograbi@netvision.net.il

8. Biennale des cinémas arabes (III)

Dienstags führte der Spielfilmwettbewerb wieder in den Libanon (der yemenitische Film Un jour nouveau dans le vieux Sanaa lief leider nicht). In Wajdi Mouawads Littoral (Libanon,/Kanada/Frankreich 2004) folgt das Publikum dem libanesisch-kanadischen Helden Wahab, wie er das Land seiner Eltern entdeckt. Der Anlass ist ein trauriger: sein Vater, zu dem er Jahre lang keinen Kontakt hatte, ist gestorben, der Sohn möchte ihn in der Heimat beerdigen. Doch die Familie wehrt sich dagegen, dass er neben Wahabs Mutter begraben wird, die bei der Geburt ihres Sohnes gestorben ist. Wahab rebelliert und macht sich ohne Sprachkenntnisse oder Orientierung nur mit dem Sarg des Vaters auf in dessen libanesisches Heimatdorf. Das dies nicht gut gehen kann, ist abzusehen. Der Film mag kein Meisterwerk sein, aber er ist ehrlich. Mouawad lebt nicht im Libanon, kennt das Land nicht, und er gibt dies zu: so hebt sich Littoral positiv von all jenen Filmen arabischer Exilanten ab (wie z.B. Merzak Allouache), die glauben, die lange verlassene Heimat noch zu kennen. Mouawad hat den Kontakt zu diesem Land verloren, doch statt dies zu leugnen macht er es zum eigentlichen Thema seines Films. Ahlam (Irak/UK 2005) von Mohamed Ad-Daradji spielt in einer Psychatrie in Bagdad während des Irak-Kriegs. Dort treffen drei Figuren aufeinander, drei schwere Schicksale: ein junger Arzt, gerade von der Uni gekommen, die junge Ahlam, durch die Verhaftungen ihres Mannes traumatisiert, und der Deserteur Ali, der bei einem amerikanischen Bombenangriff seinen besten Freund verloren hat. Der Film will die Schrecken des Krieges realistisch darstellen, immer wieder zeigt der Regisseur den Bombenhagel auf die irakische Hauptstadt, der Lärm der Geschütze ist ohrenbetäubend. Doch die Schicksale der Figuren, der eigentlichen Opfer des Kriegs, treffen sich zwar im Krankenhaus, bleiben aber nebeneinander stehen, ohne in Beziehung zu einander gesetzt zu werden oder besondere Intensität zu entwickeln. Ebenfalls im Irak, allerdings in den Kurdengebieten im Norden, spielt Le Temps des narcisses (Irak/Frankreich 2005). Der Film von Masoud Arif Salih und Hussein Hassan Ali gewann bereits auf der Berlinale 2006 den Preis von Amnesty International und tourt seitdem erfolgreich durch die Festival-Welt. Großartig fotografiert, im Stil an Yilmaz Güneys Meisterwerk Yol und an die Filme etwa Bahman Ghobadis erinnernd, zeigt er anhand eines Einzelschicksals den harten und aussichtslosen Kampf der kurdischen Peshmergas, die sowohl vom Iran als auch vom Regime Saddam Husseins bedroht wurden. Und wieder zurück in die Psychatrie: Khochkhach (Fleur d’oubli Tunesien/Marokko 2005) von Selma Baccar konzentriert sich auf das Schicksal der jungen Tunesierin Zakia. Um ihre Eheprobleme zu vergessen, betäubt sie sich mit Schlafmohn, wird bald abhängig und in die Psychatrie eingewiesen. Baccar, die mit Fatma 1975 noch für die Rechte der Frauen kämpfte, zeigt sich in Khochkhach ausgesprochen konservativ und die Heldin als Wesen, das sich nur über die Anerkennung eines Mannes definiert. Jegliche Würde der Hauptfigur bleibt dabei auf der Strecke, denn in der Anstalt verkommt sie zur Verrückten ohne Persönlichkeit. Donnerstag war der Tag der gespannt erwarteten ägyptischen Produktion L’Immeuble Yacoubian (Ägypten 2006), Marwan Hameds Verfilmung des gleichnamigen Romans von Alaa Al Aswany, der in und um Kairo für Aufruhr sorgte. In einem Gebäude mitten in der ägyptischen Hauptstadt treffen verschiedene Menschen unterschiedlicher Herkunft aufeinander: ein Schuhputzer, der durch Drogenhandel zu Geld gekommen ist, ein homosexueller Journalist, eine junge Verkäuferin, deren frustrierter Verlobter sich den Islamisten zuwendet. Knapp drei Stunden lang folgen wir nun den Leben dieser Figuren, verkörpert von so großen Namen wie Yusra, Adel Imam, Nour El-Sherif und Hend Sabri. Dabei ist leider von Anfang an vorhersehbar, wie die Geschichte ausgehen wird, die Figuren flach, die Behandlung vermeintlicher Tabu-Themen wie Homosexualität ziemlich zweifelhaft. Kurz: es ist völlig unverständlich, wieso ausgerechnet so ein Film gleich drei Preise abräumt. Souad Ben Slimane schreibt am 26.Juli in der tunesischen Zeitung La Presse, sonst ja nicht gerade als Hort des kritischen Geistes bekannt, ziemlich treffend: Il a fallu une heure moins le quart, à peu près, pour qu’il se passe quelque chose dans le film. Tout ce début qui s’étire en longueur, ressemble à un traitement de feuilleton de télévision où les événements ont tout leur temps pour arriver.Mais ce qui arrive enfin est un cocktail de désastre.La jeune vendeuse se retrouve dans les bras de Zaki Bacha. Ils se font tous les deux arrêter par la brigade des mœurs. El Haj Azzam fait kidnapper sa seconde épouse par des criminels qui la font avorter de l’enfant non désiré par le père. Taha, arrêté et torturé par la police, finit par se venger, tuer son bourreau et se faire tuer à son tour L’amant du rédacteur en chef perd son enfant après avoir avoir perdu sa «virilité» et le rédacteur en chef se fait étrangler par sa derrière conquête. En voulant peut-être nous montrer une faune de société tanquant entre désespoir et tentative de survie, l’auteur n’a pas pu s’empêcher de nous servir d’inconsistants discours moralisateurs qui se profilent nettement à chaque fois qu’il expose un personnage. Ça se gâte et ça part dans tous les sens sans, bien entendu, proposer la moindre réflexion sur des questions gravissimes telles que l’intégrisme par exemple. Bien au contraire, il va jusqu’à susciter la sympathie du spectateur envers ce jeune homme qui se transforme en assassin et n’hésite pas à punir l’homosexuel en le condamnant à mort. Comprenez : c’est toujours gênant d’entendre une salle applaudir un meurtre, fut-ce celui d’une infâme crapule. Et puis où est passé l’immeuble dont le film porte le titre et qui est sensé réunir tous ces personnages? En tant que lieu principal, il a fallu le chercher à la loupe et deviner les liens qui le lient aux personnages. Et qui est ce personnage principal sensé représenter la conscience de l’auteur? Serait-il ce fainéant qui aime se faire appeler «Zaki Bacha» et qui rêve du bon vieux temps? En voulant «dénoncer» les changements de la société égyptienne des dernières décennies, les auteurs ont fini par caricaturer leur propre film. On sent une ambition inavouée, celle de refaire un «karnak» greffé d’un «short cuts». Mais la distribution à la Altman n’aboutit qu’à un «Caire, les années 30» en négatif, faute d’un véritable sens de la dramatisation. Seuls les acteurs semblent s’amuser de leur présence dans le film. Total : L’immeuble Yakoubian qui a fait vibrer le tout Caire, n’est-il qu’une façade ? Nach diesen drei Stunden und der Biennale-typischen Verspätung hatte es Elle et Lui von Elyes Baccar (Tunesien 2004) leider ziemlich schwer, so dass am Ende weit nach Mitternacht nur noch wenige Leute im Saal übrig geblieben waren. Schade, denn Baccars Regiedebüt, für gerade einmal 15 000 TD (knapp 10 000€) und ohne Unterstützung des Staates gedreht, ist vielleicht das Außergewöhnlichste, was die Biennale und der tunesische Film seit Jahren gesehen haben. Radikal, von unerträglicher Spannung geprägt treffen zwei namenlose Figuren, Sie und Er, am Rande einer Psychose, in einer Winternacht in einer Wohnung aufeinander. Der Film liegt irgendwo zwischen dem Dekor von Wong Kar Wais In the Mood für Love und der implodierenden Gewalt in den Filmen Fassbinders. Elle et Lui ist Ausdruck eines unerträglichen Leidens an der Gesellschaft und der Politik, Ausdruck der Unfähigkeit, zu kommunizieren und einer stillen Verstörung. Mutig! Mehr davon! (langer Text folgt) Les ombres du silence (Abdullah Al-Moheissen, Saudi-Arabien 2006) ist eine saudische Big Brother-Variante. Drei Intellektuelle finden sich in einer Klinik in der Wüste interniert, wo sie unter Dauerüberwachung stehen und einer Gehirnwäsche unterzogen werden sollen. Das klingt zunächst mal kritisch, doch spätestens an dem Punkt, als ein Schriftsteller interniert wird, weil er der Meinung sei, die Globalisierung gefährde die Integrität der saudischen Frauen wird man dann doch stutzig…

01.08.2006

8. Biennale des cinémas arabes (II)

Der Spielfilmwettbewerb… …. ging vielversprechend los. Barakat! (Es reicht!) (Algerien /F 2005) , Spielfilmdebüt der Algerierin Djamila Sahraoui, erzählt die Geschichte von Amel (Rachida Brakni, als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet), einer jungen Ärztin im Algerien der 90er Jahre. Mitten im Bürgerkrieg wird ihr Ehemann, ein kritischer Journalist, verschleppt. Zusammen mit Khadija, einer wesentlich älteren Schwester, die im gleichen Krankenhaus arbeitet, macht sie sich auf die Suche nach ihrem Mann. Doch der Bürgerkrieg bildet für Sahraoui nur die Folie, vor der sie das Verhältnis der beiden Frauen, der Generation FLN und der Kriegsgeneration beschreibt. Man sieht Barakat! an, dass seine Regisseurin vom Dokumentarfilm (Algérie, la vie quand même, 1999, Algérie, la vie toujours, 2001, Et les arbres poussent en Kabylie, 2003) kommt. Wo andere Regisseure längst geschnitten hätten, lässt sie sich Zeit, zu beobachten, den Zuschauer beobachten und die Bilder atmen zu lassen. Fern jeder Didaktik, jeder gutgemeinten Geschichtsstunde zeichnet sie ein einfühlsames Porträt der Figuren, auch wenn die Musik manchmal ein bisschen zu bedeutungsvoll daherkommt. (Der Film wäre mal einen längeren Text wert.) L’amour et la passion (Ägypten 2006) ist ein „typisch ägyptisches“ Melodram allererster Güte um die Irrungen und Wirrungen zweier Schwestern und unzähliger Nebenfiguren, Liebeskummer, Verrat und Familienzwist inklusive. Der Film von Kamla Abou Zikir sorgte, wohl eher unfreiwillig, für einige Lacher, so absurd sind die amourösen Verwicklungen. Ist wohl eher was für Fans von Verbotene Liebe etc. Den Abschluss des ersten Tages bildete die eher harmlose Musikkomödie Bosta (L’autobus) (Libanon 2005) von Philippe Aranctingi, der Hit des Jahres im Libanon. Kamal, nach 15 Jahren aus dem Exil zurückgekehrt, will in Erinnerung an seinen Vater, der im Bürgerkrieg ermordet wurde, dessen Tanzgruppe des „Utopia College“ wieder aufbauen. Doch deren moderne Variante des Dabké stößt nicht nur auf Anerkennung, als sie mit ihrem bunt bemalten Bus durchs Land gondeln. Hoffnung wollte der Regisseur mit seinem Film, an dem er 15 Jahre gearbeitet hat, vermitteln, zeigen, dass im Libanon eine neue Generation entsteht, den Klischees über den Bürgerkrieg entfliehen, die Lust am Leben zeigen. „Das Ende ist der Anfang“, heißt es am Schluss des Films. Seit dem 12.Juli ist der Film nur noch eine schmerzhafte Erinnerung daran, wie man sich die Zukunft hätte vorstellen können. Juanita de Tanger (Marokko/Spanien 2005) von Farida Benlyazid (Un porte sur le ciel), Geschichte einer Spanierin im Tanger zur Zeit des spanischen Bürgerkriegs, ist eine Literaturverfilmung und sieht auch so aus und hört sich auch so an. Ich gehe aber auf Filmfestivals, um Filme zu sehen, kein abgefilmtes Theater mit schweren Dialogen. Josef Farès, in Europa v.a. durch Jalla, Jalla bekannt, wandte sich in Zozo (Libanon, Schweden/UK/Dänemark 2005) ebenfalls dem libanesischen Bürgerkrieg zu. Als seine Familie kurz vor der Abreise nach Schweden zu den Großeltern ums Leben kommt, schlägt sich der kleine Zozo alleine durch. In Schweden angekommen ist das Leben jedoch keineswegs so viel einfacher, sondern er muss sich mit einer neuen Sprache und dem Mobbing durch seine Mitschüler auseinandersetzen, bis er schließlich in einem anderen (schwedischen) Außenseiter einen neuen Freund findet. Farès ist bemüht, selbst im Krieg die Hoffnung aufrecht zu erhalten. So bindet er immer wieder Traumsequenzen Zozos mit ein, sprechende Küken und im All schwebende Häuser, wo nur Mond und Sterne, aber keine Bomben oder Raketen den Nachthimmel erleuchten. Spätestens seit Benigni darf man sich die Frage stellen, ob es legitim ist, Krieg so zu ästhetisieren. Trotz aller guten Intentionen würde ich die Frage, mal wieder, mit Nein beantworten. Und schon wieder so ein gutgemeinter Film: Al Manara (Belgacem Hadjhadj, Algerien 2004), eine der wenigen rein algerischen Produktionen, verfolgt die Lebenswege dreier Jugendfreunde, symbolisch für die algerische Gesellschaft stehend, während des Bürgerkriegs, seit den Aufständen 1988. Die Wege von Fawzi, einem engagierten Journalisten, dem Arzt Ramdane und Asma trennen sich bald und es scheint unmöglich, die einmal entstandenen Gräben zwischen ihnen wieder zu kitten. Hadjhadj nimmt sich viel vor in diesem Film, will er schließlich sowohl Gründe als auch Auswirkungen der sozialen Spaltungen in 90 Minuten erklären. Doch die Verknüpfung von persönlicher und politischer Geschichte endet leider in einem didaktischen Thesenfilm, einer leçon de morale allererster Güte. To be continued

8. Biennale des cinémas arabes à Paris (I)

Am Sonntag ging in Paris die achte „Biennale des cinémas arabes“ zu Ende. Auf dem Programm standen je ein Kurz- und ein Langfilmwettbewerb für Spiel- und Dokumentarfilme, außerdem ein Schwerpunkt zu den Reportagen, die die Firma HotSpot für den Nachrichtenkanal Al Jazeera produziert, ein Kolloquium über den euro-arabischen Filmmarkt („Les conditions nécessaires à l’èmergence d’un marché cinématographique euro-arabe) sowie eine Hommage an den ägyptischen Schauspieler Ahmed Zaki. Voilà, die Liste der Wettbewerbsgewinner: Spielfilme Le Prix IMA du meilleur court métrage :Reste tranquille (Be quiet) de Sameh Zoabi (Palestine/France, 2005) Le Prix IMA de la première œuvre pour le long métrage :Bosta (L’Autobus) de Philippe Aractingi (Liban, 2005) Le Prix de la meilleure actrice :Rabia Ben Abdallah, pour son rôle dans Fleur d’oubli de Selma Baccar (Tunisie/Maroc, 2005), Mariola Fuentes, pour son rôle dans Juanita de Tanger de Farida Benlyazid (Maroc/Espagne, 2005), Rachida Brakni, pour son rôle dans Barakat de Djamila Sahraoui (Algérie/France, 2005) Le Prix du meilleur acteur :Adel Imam, Khaled al-Sawi et Nour al-Chérif pour leur rôle dans L’Immeuble Yacoubian de Marwan Hamed (Égypte, 2006) Le Prix Maroun Bagdadi, Prix Spécial du Jury : Ahlaam (Rêves) de Mohamed al-Daradji (Irak/Royaume-Uni, 2005) Le Grand Prix IMA du long métrage :L’Immeuble Yacoubian de Marwan Hamed (Égypte, 2006) Aide IMA à la distribution :L’Immeuble Yacoubian de Marwan Hamed (Égypte, 2006) (Die Jury bestand aus: Yves Boisset, Daoud Abdel Sayed, Dominique Cabrera, Walid Chmaït, Rachida Krim, Monica Maurer) Dokumentarfilme Mention spéciale pour le court métrage :Toi, Waguih de Namir Abdel Messeeh (Égypte/France, 2005). Mention spéciale pour le long métrage :Sur ma ligne de Rachid Djaïdani (Algérie/France, 2005). Prix Spécial du Jury pour le court métrage :Quelques Miettes pour les oiseaux de Nassim Amaouche (Algérie/Jordanie/France, 2005) Prix IMA du meilleur court métrage :Le Dernier Printemps à Abu Dis de Issa Freij (Palestine/Suisse, 2005) Prix Spécial du Jury pour le long métrage :Arafat, mon frère de Rachid Masharawi (Palestine/France/Canada, 2005) Grand Prix IMA du long métrage :Beyrouth : vérités, mensonges et vidéos de Maï Masri (Palestine/Liban, 2006) (Die Jury: Ali Abou Chadi, Abbas Arnaout, Malek Bensmaïl, Marie-Pierre Duhamel-Muller, Yasmine Kassari) Texte zu den einzelnen Sektionen folgen demnächst. Insgesamt war das Programm dieses Jahr doch eher durchwachsen, von der Politik und den guten Intentionen der Regisseure überschattet, was sich leider oft eher negativ auf die Qualität der Filme ausgewirkt hat. Aber es gab auch einige sehr positive Überraschungen…

à propos

Wie der Titel schon sagt: es wird in diesem Blog hauptsächlich um Filme gehen (arabische und andere, aktuell oder nicht), und wenn mir danach ist auch um im weitesten Sinne verwandte Themen