04.08.2006

8. Biennale des cinémas arabes (IV)

Der Kurzfilmwettbewerb (Fiktion) Aujourd’hui 30 novembre (Mahmoud Soliman, Ägypten 2004), versucht ein junger Mann sich umzubringen. Wie jeden 30. November der vergangenen Jahre. Nie hat es geklappt. Wieder schreibt er einen Abschiedsbrief, wieder hofft er, dass ihn niemand von seinem Vorhaben abhält. Seinem Wohnungsschlüssel drückt er spontan einem jungen Liebespaar in die Hand. Und wieder macht er sich auf den Weg nach dem richtigen Ort, sein Leben zu beenden. Dabei folgt ihm die Kamera durch Kairo, am Nil entlang, durch die staubigen Straßen und den hupenden Verkehr. Denn eigentlich geht es gar nicht so sehr um den Selbstmord, sondern um die Beziehung dieses jungen Mannes zu dieser Stadt, einer Hassliebe. Er leidet an ihr und kann ihr doch nicht entrinnen. Am 1.Dezember wacht er auf einer Bank wieder auf. Die Hassliebe verlängert sich erneut um ein Jahr. In Hier encore (Rima Samman, Libanon/Frankreich 2006) macht sich der Exillibanese Simon Tabet auf die Suche nach seiner jüngeren Schwester Nirane, die er in Marseille glaubt. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs hat er sie nicht mehr gesehen, Schuldgefühle sind sein ständiger Begleiter. Samman folgt Simons schmerzhafter Suche nach seinen Wurzeln, zeigt die Angst davor, von der Schwester zurückgewiesen zu werden, und den Wunsch, wieder so etwas wie Heimat im Exil zu finden. Der marokkanische Regisseur Mohamed Miftah zeigt in Autorisation parentale (2005) auf eindrückliche Weise, wie soziale Normen reproduziert werden. „Wie der Vater, so der Sohn“ scheint in diesem kleinen Ausschnitt aus dem Alltag das Motto zu lauten. Als der Vater vor dem Fernseher einschläft, ist es der jüngste Bruder, der seine Schwestern im Auge hat und bei vermeintlich anstößigen Szenen sofort reagiert. Le Défunt (Rachid al-Ouali, Marokko 2005) ist eine humoristische Variation des Rashomon-Prinzips. Von wegen man solle nichts Schlechtes über die Verstorbenen sagen: Während den Vorbereitungen zur Totenfeier tritt so nach und nach jeder Angehörige ins Bild und gibt seine Meinung zum verstorbenen Preis. Der dann wohl doch nicht ganz so heilig war, wie man am Anfang dachte. Une place au soleil (Rachid Boutounès, Marokko/Frankreich 2004) hatten sich wohl viele maghrebinische Arbeitsmigranten in Frankreich erhofft. Boutounes erzählt die einfache, aber umso eindrücklichere Geschichte von Ahmed. Müllmann war er. In einer einfachen Jacke und mit einer großen Wollmütze streift er nach seiner Pensionierung durch die Straßen von Paris. Und geht sich einen Anzug kaufen. Wie verwandelt sieht er darin aus. Der Grund: die Verleihung eines Ordens wegen besonderer Verdienste um die Stadt. Einen Tag später: das Foto ist nach Hause geschickt, der Anzug abgelegt, und Ahmeds Leben geht so weiter wie bisher. Fast wie bisher. Der Film lebt vor allem vom subtilen Schauspiel Ahmed Amidous, auf dessen Gesicht Stolz, Heiterkeit und leichte Melancholie Hand in Hand gehen. Mitten in den Alltag führt auch Un Lundi (Tamer al-Said, Ägypten 2005), ein kleiner Film über kleine Gesten, die den Alltag ein klein bisschen verändern, über die Aufmerksamkeit und wiedererwachende Liebe. Kongenial adaptiert Rami Abdul Jabbar in La Maison de chair (Ägypten 2005) eine Kurzgeschichte des Schriftstellers Yussuf Idriss über eine Witwe und ihre drei Töchter. Von den Mädchen gedrängt will die Mutter einen blinden Cheikh heiraten. Doch in ihrem Haus, eng und fast so dunkel wie die Welt des Blinden, entspinnt sich eine Beziehung zwischen dem Cheikh und einer der Töchter. „In Schweden sagt man, dass sein ein 100% schwedischer Film“, erklärt der irakische Regisseur Shaker K. Tahrer. In Un joueur de football à minuit (Irak/Schweden 2005) feiert man Weihnachten, ohne wirklich zu feiern. Die Atmosphäre ist kalt und unfreundlich. Man feiert um der Tradition willen das Fest der Liebe, nicht um der Liebe willen. Auf einmal steht der Weihnachtsmann vor der Tür und will mit dem Sohn der Familie Fußball spielen. Eigentlich ist es völlig egal, ob es nun Weihnachten oder Aid oder ein schwedischer oder irakischer Film ist. Es ist eine ergreifende, präzise erzählte Geschichte. Was ihr eigen ist, ist der genau beobachtende Blick, den vielleicht nur jemand hat, der ein klein wenig außerhalb steht. Egal wo er ist und woher er kommt.

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