Dieser Mann ist heimatlos. Das zeigen schon die ersten Bilder von Demain, je brule (غدوى نحرق). In Paris steht Lotfi unter einer U-Bahn-Brücke, mit hängenden Schultern, der graue Mantel zu groß für den geschwächten Körper, das Gesicht grau und eingefallen. Er ist gerade aus dem Gefängnis entlassen worden. Auf einmal kommt Bewegung ins Bild, gelöst umarmt Lotfi umarmt zwei kleine Mädchen, seine Töchter. Im Hintergrund steht unbeweglich eine Frau, ebenfalls ganz in Grau gekleidet. Doch dieser kurze Moment des Glücks erweist sich schnell als Wunschvorstellung des Protagonisten.
Den verkörpert der tunesische Schauspieler Mohamed Ben Smail in seinem Regiedebüt auf überzeugende Weise. Mit nur wenigen Details, sparsamer Gestik und Mimik gelingt es ihm, die ganze Unsicherheit, die innere Zerrissenheit seiner Hauptfigur auszudrücken. Lotfi ist ein Heimat- und Ortloser, ein moderner Reisender, der irgendwo auf seinen Reisen sein Innerstes verloren hat. Immer bemüht, die fragile Fassade aufrechtzuerhalten kehrt der schwerkranke Mann nach Tunesien zurück.
Um zu sterben sucht er noch einmal die Orte seiner Kindheit auf, die ihm über die Jahre fremd geworden sind. Und er begibt sich in La Goulette auf Spurensuche. Doch La Goulette, die Vorstadt von Tunis, geprägt vom Hafen und ihren Fischern, hat wenig gemein mit dem heiteren, sonnigen Ort, den uns etwa Ferid Boughedir (Ein Sommer in La Goulette) zeigt. Ben Smails La Goulette ist düster, grau und regnerisch. Es gelingt Lotfi in seinen letzten Lebenstagen kaum, sich die Orte seiner Vergangenheit erneut anzueignen. Als er in Tunesien ankommt, wird er von allen Leuten erkannt. doch er selbst erkennt niemanden mehr. Ratlos steht er seiner Vergangenheit gegenüber. Und Mohamed Ben Smail macht spürbar, wie sehr es in Lotfi innerlich arbeitet, wie er verzweifelt nach Orientierungspunkten sucht.
Immer wieder erinnert Ben Smails eindrückliche Reflexion über inneres und äußeres Exil an die Filme des Theo Angelopoulos, finden sich ähnliche thematische und visuelle Elemente, ohne jedoch je die romantischen Moment zu bedienen, die sich im Werk des griechischen Regisseurs finden. Demain, je brule ist von zutiefst modernem Gestus, nüchtern und klar in jedem Moment, ohne dabei jemals gefühllos zu sein. Gerade das macht den Film so bemerkenswert.
Demain, je brule (Mohamed Ben Smail, Tunesien 1998, 95')