Welches Bild wollen wir von uns abgeben, fragt sich Moncef Dhouib in seinem neuen Film La télé arrive und fragen sich auch die Bewohner eines kleinen (Film-)Dorfes, irgendwo im südtunesischen Hinterland. Der Alltag ist geprägt von den ewig gleichen Sitzungen des lokalen Kulturkomitees, in dem all jene versammelt sind, die im Dorf etwas zu melden haben. Die Diskussionen gleichen sich ebenso wie die Unterhaltungsprogramme, die zu Festtagen veranstaltet werden. Nachdem gerade anlässlich des "Tag des Baumes" in Anweseheit eines regionalen Parteifunktionärs eine Feier veranstaltet wurde, erhält der Bürgermeister Fitouri einen Anruf vom Ministerium aus Tunis. Ein deutsches Fernsehteam werde den Ort besuchen. Daraufhin setzen die Mitglieder des Komitees, eine Frauenrechtlerin, ein Kommunist, der Schatzmeister des Kulturhauses, ein Religiöser, ein opportunistischer Händler und eben Fitouri, alles daran, ihr Dorf im Ausland möglichst positiv repräsentiert zu wissen. Die erwartete Ankunft des Fernsehens setzt eine Welle von Veränderungen im Dorf und Streitigkeiten unter den exzentrischen Verantwortlichen in Gang. Weder Kosten noch Mühen werden gescheut, um mit Hilfe eines ägyptischen Regisseurs einen historischen Umzug zu veranstalten, der den ausländischen Gästen das reiche Kulturerbe Tunesien näherbringen soll. Doch die Enttäuschung ist groß, als das Fernsehteam sich nur für giftige Skorpione Nordafrikas und nicht für die Inszenierung der Dorfbewohner interessiert.
Kunst und Kultur verkommen in Moncef Dhouibs satirischer Komödie zur reinen Fassade, zu einer auf Öffentlichkeitswirksamkeit im Ausland hinzielenden Inszenierung. Fern jeden Intellektualismus holt der Regisseur (Ya Soltane El Medina) in seinem zweiten Spielfilm das Publikum bei sich ab, verwendet Elemente von Musikvideoclips und macht stilistische Anleihen bei den äußerst populären (vor allem ägyptischen) Seifenopern. Die Figuren sind oft Karikaturen, stereotype Verkörperungen bestimmter tunesischer Bevölkerungsgruppen, der Humor ist zugänglich und einfach gestrickt. Und doch wäre es falsch, La télé arrive nur als populäre, volkstümliche Komödie abzutun. Moncef Dhouib spart nicht mit Kritik an sowohl der Staatsführung als auch an der tunesischen Bevölkerung, die beide primär daran interessiert sind, gegenüber der Obrigkeit beziehungsweise dem Ausland eine gute Figur abzugeben. "Le mérite de Moncef Dhouib dans son dernier opus, La télé arrive, c’est de renouer avec cette vertu cardinale et hygiénique sans laquelle aucune société ne peut vivre: le rire. Dans un cinéma tunisien assez lacrymal et morose, c’est vraiment bien qu’un cinéaste ait pensé à faire rire le public, à le divertir et à l’instruire à la fois.", schreibt der tunesische Kritiker Hedi Khelil.
La télé arrive ist gespickt mit Anspielungen auf Figuren der tunesischen Geschichte und Gegenwart, auf Praktiken der Regierungen, das lokale Radio und bestimmte Bevölkerungsgruppen. Hichem Rostom und Nouri Bouzid haben Gastauftritte, Tarek Ben Ammar und seine Bibelschinken bekommen ihr Fett weg und Raouf Ben Amor legt eine hinreißende Ben Ali-Imitation hin. Doch der Film ist mehr als nur eine Komödie über den Einfluss des Fernsehens auf unser Leben. La télé arrive verhandelt die schwierige Frage der Eigen- und Fremddarstellung, den Umgang mit der eigenen Kultur in einem Land, das aufgrund der großen wirtschaftlichen Abhängigkeit vom Tourismus essentiell auf ein positives Bild im (europäischen) Ausland angewiesen ist, dessen innere Realität jedoch merklich divergiert. Und er fragt nach dem Wunsch nach Anerkennung der (Werte der) Bevölkerung durch das Ausland einerseits, dem Gefühl, vom "Westen" herablassend behandelt zu werden andererseits.
Was die Auswertung des Films angeht besinnt sich Moncef Dhouib auf die Traditionen umherfahrender Kinobusse (vgl. Ridha Behis halb-autobiographischer Spielfilm La boîte magique). Premiere feierte sein Film in Sned, dem kleinen Dorf, in dem auch gedreht wurde. Nicht das Fernsehen, sondern das Kino kommt! Ein Bus ausgestattet mit einer mobilen Projektionskabine, Tonsystem und Leinwand macht die Tour übers Land, Vorstellungen finden in lokalen Kulturhäusern oder auf Dorfplätzen sowie statt, bevor der Film im Oktober 2006 gleichzeitig in Marokko, Algerien und Tunesien im Kino starten soll. Bewusste Vorpremieren auf dem Land sind die Ausnahme, denn Kinosäle existieren in Tunesien nur noch in den Grostädten. Genauso ungewöhnlich ist die gleichzeitige Auswertung im gesamten Maghreb, denn zwischen den einzelnen arabischen Staaten existiert kaum eine funktionierende Verleih-Infrastruktur. Auf den großen Festivals des Sommers (Carthage, El Jem, Hammamet etc) ist der Film wohl jetzt schon ein Erfolg, genauso wie in der lokalen Presse.
La télé arrive (Moncef Dhouib, Tun 2006, 1'32")
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