08.08.2006

Gelesen (II)

Bahman Nirumand: Iran. Die drohende Katastrophe
Bahman Nirumand hat schon einmal die deutsche Geschichte entscheidend geprägt. Persien, Modell eines Entwicklungslandes oder Die Diktatur der freien Welt, das erste Buch des Exiliraners, war einer der Auslöser für die Demonstrationen gegen den Schah im Juni 1967. Jetzt, fast 30 Jahre später, hat der Autor und Journalist (er schreibt regelmäßig für die taz), profunder Kenner des Landes, erneut eine Analyse des Iran vorgelegt, die Modellcharakter hat: Iran. Die drohende Katastrophe. Auf rund 200 Seiten zeichnet Nirumand noch einmal den Verlauf des Atomstreits nach, erläutert europäische und amerikanische Verwicklungen in die iranische Geschichte und erklärt das Verhältnis zwischen Religion, Staat und Zivilgesellschaft im Iran. Die Analyse des Atomstreits ist minutiös und daher zuweilen etwas ermüdend zu lesen, genau so wie der Rückblick in die iranische Geschichte. Doch sie sind notwendig, denn ohne den historischen Kontext zu kennen, lässt sich die heutige angespannte Situation und lassen sich die tiefen Aversionen gegen amerikanische „Demokratiebemühungen“ nur schwer verstehen. Doch Nirumands Buch ist keineswegs nur in die Vergangenheit gerichtet. Den weit größten Teil nimmt die gegenwärtige Lage an (noch Ereignisse aus dem Frühjahr 2006 werden berücksichtigt). Dabei spart der Autor nicht mit Kritk – weder an der iranischen Mullahkratur, noch an Präsident Ahmadinedschad oder seinem Vorgänger Chatami. Genauso wenig spart er jedoch das Ausland aus, sondern nimmt die Politik der EU-Staaten, die Rolle Russlands und Chinas, Israels und natürlich die der Vereinigten Staaten unter die Lupe. Besonders gut kommt dabei keiner der Genannten weg. Hoffnung macht die immer tiefer greifende Wandlung der iranischen Zivilgesellschaft (mit rund 2/3 unter 30-Jährigen) sowie die wachsende Anzahl der religiösen Reformer, die – im Gegensatz zu etwas Großbritannien oder Frankreich – in Deutschland nach wie vor kaum beachtet werden. (Die würden ja auch das medial-politisch so schön konstruierte und propagierte Feindbild Islam ganz schnell aufbrechen). Im Nachwort spricht sich Nirumand angesichts der „bedrohlichen Lage“ für einen Kurswechsel der europäischen Staaten aus. Die Erlaubnis, dem Iran unter Kontrolle der IAEA auf niedriger Ebene Uran anzureichern (was ihm laut Atomwaffensperrvertrag ausdrücklich zusteht), hätte die moderaten Konservativen erreicht und die radikalen Islamisten isoliert. Doch das gegenwärtige Vorgehen spalte die Zivilgesellschaft und zwinge sie zur Solidarität mit den Radikalen, so Nirumand. „Die radikalen Fundamentalisten in Teheran und Washington sind dabei, die Welt in eine Katastrophe zu treiben. Sie aufzuhalten, wäre Europa aufgerufen. Die EU-Staaten müssten wieder aus dem amerikanischen Boot aussteigen, sie müssten nein sagen zu einem Krieg, nein sagen zu einem Einsatz der NATO, und auf diplomatischem Weg versuchen, gemeinsame mit den politischen Strömungen und vor allem mit der Zivilgesellschaft im Iran einen Konsens zu finden und so die Fundamentalisten innerhalb und außerhalb des Iran zu isolieren.“ Bis jetzt lasse sich jedoch keine gemeinsame europäische Perspektive erkennen. „Auch deshalb gehen wir nun sehenden Auges einer Katastrophe entgegen.“ Ich kann mich Bahman Nirumand nur anschließen. Sein Buch ist Pflichtlektüre! Bahman Nirumand: Iran. Die drohende Katastrophe, Kiepenheuer & Witsch, 2006

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