„Der Islam ist nicht durch die Aufklärung gegangen“ und „ist auch gar nicht reformierbar“, war in den letzten Jahren in Debatten über vermeintliche Kulturkämpfe, Terrorismus und Islamismus eines der gängigsten Vorurteile und schlagendes Argument islamophober Publizisten. Dabei wird, gerade in Deutschland oft übersehen, dass der Islam sich gerade mitten im eingeforderten Reformprozess befindet. „Das läuft gerade wie im religionssoziologischen Lehrbuch ab.“, sagte Ludwig Ammann mal dazu. Und ist es nicht nur der Islam, der gerade wieder einen Aufschwung erfährt. Vielmehr ist Europa eine kleine Insel der Atheisten geworden, während die Religion weltweit wieder an Bedeutung zunimmt, seien es der Protestantismus in den USA, Katholizismus in Lateinamerika und Korea oder der Islam in Teilen Asiens und Afrikas.
Dass die Anhänger der islamischen Religion keineswegs einen monolithischen Block sturer Fanatiker darstellen, wird hierzulande gerne übersehen. Die Iranistin und Journalistin Katajun Amirpur und der Islamwissenschaftler, Publizist und Filmverleiher (Kool-Film) Ludwig Ammann haben jetzt ein Buch herausgegeben, dass die Vielfalt islamische Reformer vorstellt: Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion.
Der Band gliedert sich in fünf Blöcke, die Vertreter des europäischen Islam vorstellen, Bestrebungen um religiöse Formen der Demokratie beobachten, sich mit Schariareform, künftigem Koranverständnis und last but not least mit islamisch geprägtem Frauen- und Menschenrechtsaktivismus auseinandersetzen.
Dabei werden 19 bekannte und weniger bekannte islamische Reformer vorgestellt, wie etwa der dynamisch-charismatische ägyptisch-schweizerische Tariq Ramadan oder Nurcholish Madjid aus Indonesien und Farid Esack aus Südafrika. Es mag zunächst verwundern, doch gerade die iranische Mullahkratur hat durch die staatlich verordnete Religiosität einige der prominentesten islamischen Reformer wie Mohamed Schabestari und Abdolkarim Sorusch hervorgebracht. Die Herausgeber porträtieren in ihrem Band freilich nicht nur die im Westen umjubelten Liberalen wie etwa Soheib Bencheikh, der Ramadan in Frankreich den letzten Jahren an Popularität und Medienpräsenz überholt hat, sondern auch so umstrittene Figuren wie die marokkanische Islamistin und Feministin Nadia Yassine.
So wenig sich diese Figuren über einen Kamm scheren lassen, eines wird klar bei der Lektüre der (auch für „Islam-Laien“ verständlichen) informativen Porträts: Der Islam befindet sich mitten im Umbruch. Während einige Fanatiker einen reaktionären Kurs fahren, bemühen sich viele „liberale“ Reformer, neuen Zugang zum Koran zu finden und ihn und seine Regeln und Gebote historisch zu lesen und einzuordnen. Eine Reformation jedoch, die nachhaltig auch in der Zivilgesellschaft der islamischen Welt Gehör finden und wirksam werden will, ist nur von innen heraus möglich. Was der „Westen“ dazu leisten kann und soll: sich um ein besseres Verständnis sowohl politischer wie gesellschaftlich-religiöser Zusammenhänge bemühen und die Reformer unterstützen. Reformen hingegen von außen zu verordnen, wird eher eine weitere Radikalisierung militanter Kreise befördern.
Katajun Amirpur & Ludwig Ammann (Hg.): Der Islam am Wendepunkt. Liberale und konservative Reformer einer Weltreligion (Herder, Freiburg 2006, 219 Seiten, 9,90 Euro)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen