Ein Porträt des Schauspielers Ulrich Mühe
„Glaub bitte nicht in pubertärer Selbstzerfleischung, dass die Welt dich nicht liebt. Es gibt nur Übereinkünfte.“ Kalt und herablassend ist der Blick, den Ulrich Mühe seinem Film-Sohn Benny zuwirft, überheblich und des Gesprächs überdrüssig der Tonfall. Der österreichische Regisseur Michael Haneke hat einmal gesagt, er wolle in seinen Filmen die „emotionale Vergletscherung in den hochindustrialisierten Ländern“ zeigen. In den 1990er Jahren hatte diese eisige Kälte in Hanekes Filmen ein Gesicht: Ulrich Mühe, Hauptdarsteller in „Bennys Video“ (1992), „Funny Games“ (1997) und der Kafka-Adaption „Das Schloss“ (1997).
Liebe kommt in der Welt von „Bennys Video“ nicht vor. Als der Vater, ein glatter Aufsteiger, nur auf seine Karriere bedacht, erfährt, dass sein Kind gerade ein Mädchen getötet hat, bleibt das Entsetzen aus. Ohne mit der Wimper zu zucken beseitigt er die Spuren. Für Gefühle oder Zweifel ist in dieser Welt, ist auf Mühes Gesicht kein Platz. Die Fassade muss gewahrt bleiben. Nur seine Augen deuten an, dass vielleicht doch ein Mensch hinter dieser vermeintlichen Coolness steht. Unruhig suchen sie den Raum ab, verlieren sich im Nichts, in seinem Inneren, in den Gedanken.
Es wäre falsch zu glauben, Mühe könnte nur den kalten Abzocker, den Opportunisten spielen, der alles für seine Karriere tut. In „Das Schloss“ wird er in der Rolle des „K.“ Opfer des absurden Systems, in dem er sich bewegt, in „Funny Games“ ist er zur Hilflosigkeit verdammt, als er und seine Familie in ihrem Ferienhaus von zwei Unbekannten terrorisiert werden. Er erlebt die andere Seite der menschlichen Eiszeit: Mit einer gebrochenen Kniescheibe sitzt er da, bewegungsunfähig, unfähig einzugreifen, sein Gesicht verzerrt, seine Augen starr und schreckgeweitet.
Vielleicht sind es diese stahlblauen Augen, die den Schauspieler Mühe ausmachen. Sie verkörpern, was man gemeinhin Wandlungsfähigkeit nennt – oft hilfloser Ausdruck dafür, dass dieser Mann nicht greifbar ist, sich den üblichen Schemata verweigert. Denn Ulrich Mühe ist kein Charakterkopf, kein Haudegen, kein Casanova. Auf den ersten Blick erscheint er glatt und vollkommen harmlos, zurückhaltend, ja fast ein bisschen blass. Mühe ist keiner, der sich in den Vordergrund spielen muss. Doch hinter dieser Oberfläche, die so undurchdringlich wirkt, an der alles abzuprallen scheint, da kommt etwas zum Vorschein: eine Ahnung von Sensibilität, von Sanftmut und Menschlichkeit. Und eine unvermutete Kraft, eine enorme Präzision der Gesten, der Mimik, der Blicke. Genau dieses Spiel mit der Oberfläche, mit der Divergenz zwischen erstem Eindruck und dem Menschen dahinter, das hat Ulrich Mühe in seiner Schauspielerkarriere perfektioniert.
Geboren 1953 im sächsischen Grimma begann er nach einer Ausbildung als Baufacharbeiter mit 22 Jahren an der Hochschule „Hans Otto“ in Leipzig sein Schauspielstudium. Dort wurde er 1982 von Heiner Müller entdeckt und für dessen „Macbeth“-Inszenierung an die Berliner Volksbühne geholt – ein Glücksfall für Mühe, denn die Arbeit mit dem großen Dramatiker legte den Grundstein für seine Bühnenkarriere, die ihn vom Deutschen Theater in Berlin bis nach Hamburg und ans renommierte Wiener Burgtheater führte.
Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis das Ausnahmetalent Mühe auch ins Kino kam. Wo sonst ließen sich seine Schauspielkunst, die feinen Nuancen seiner Mimik, die kurz zuckende Augenbraue oder der verkniffene Mund so genau beobachten wie auf der Leinwand. Nach kleineren Film- und Fernsehrollen in der DDR verkörperte Mühe in Bernhard Wickis „Das Spinnennetz“ (1989) den Leutnant Lohse. Für seine Interpretation des skrupellosen und opportunistischen Aufsteigers in der Weimarer Republik, der in unterschiedlichste Rollen schlüpft und vor nichts zurückschreckt, um seine Karriere zu befördern, erhielt Mühe internationale Anerkennung und den ersten Bayerischen Filmpreis seiner Karriere. Der zweite folgte in diesem Jahr für die Rolle eines Stasi-Agenten in „Das Leben der Anderen“.
Im Gegensatz zu vielen anderen ostdeutschen Schauspielern, die nach der Wende um Engagements kämpfen mussten, konnte Ulrich Mühe seine Karriere auf Bühne und Leinwand in den unterschiedlichsten Rollen nahtlos fortsetzen. Er spielte in Komödien und Krimis, Kinderfilmen und Dramen, war der sensationshungrige Chefredakteur in Helmut Dietls Mediensatire „Schtonk“ (1992), der Familienvater in der Komödie „Rennschwein Rudi Rüssel“(1995), der Gerichtsmediziner in der preisgekrönten ZDF-Krimiserie „Der letzte Zeuge“ und der KZ-Arzt Josef Mengele in Constantin Costa-Gavras’ internationaler Großproduktion „Amen“ (2002), einer Verfilmung von Rolf Hochhuths Roman „Der Stellvertreter“. Josef Mengele, das ist einer jener „Männer die gelernt haben, ihr Gewissen zu unterdrücken“, wie er im Film einmal sagt. Da gibt Ulrich Mühe wieder so einen eiskalten Aufsteiger-Typ, wie wir ihn schon aus „Bennys Video“ oder „Das Spinnennetz“ kennen.
Doch trotz unzähliger Filmengagements hat sich der Träger der Helene-Weigel-Medaille nie von seinen Wurzeln, vom Theater verabschiedet. 2005 inszenierte er „Im Auftrag“, ein Stück seines Mentors und Förderers Heiner Müller bei den Wiener Festwochen. Aber nicht nur als Regisseur wandet er sich wieder dem Theater zu, auch als Schauspieler war er wieder vermehrt auf der Bühne anzutreffen, zum Beispiel in Yasmina Rezas Kult-Stück „Drei Mal Leben“. Dort spielte er an der Seite seiner Frau Susanne Lothar, mit der er seit 1997 verheiratet ist. Ohne die Schauspielerei geht es bei dem Wahl-Berliner eben auch privat nicht. In erster Ehe war er mit der Schauspielerin Jenny Gröllmann verheiratet, die gemeinsame Tochter, Anna Maria Mühe, ist ebenfalls eine Erfolg versprechende Nachwuchsschauspielerin.
Seinen letzten ganz großen Triumph hatte der zurückhaltende Mime kürzlich in „Das Leben der Anderen“. Der Film über ein Künstlerpaar in der DDR entwirft eine Welt, die Ulrich Mühe selbst nur zu vertraut ist. Seine Ex-Frau sei selbst Informelle Mitarbeiterin der Stasi gewesen, behauptete Mühe in einem Interview. Laut sagen darf er das inzwischen aber nicht mehr, beschloss das Berliner Landgericht Anfang Juli nach einer Klage Gröllmanns. Die Schauspielerin bestritt bis zu ihrem Tod vehement, IM „Jeanne“ gewesen zu sein. Das Gericht räumte immerhin ein, es gäbe „Verdachtsmomente“ gegen Mühes Ex-Frau. Die Wahrheit wird wahrscheinlich nie ans Licht kommen.
Wie dem auch sei: Im Film ist es Ulrich Mühe selbst, der zunächst auf Seiten der Machthaber steht. Doch je länger er als linientreuer Stasi-Agent Gerd Wiese ein oppositionelles Paar aus der Theaterszene observiert, desto mehr entwickelt er sich zum kritisch denkenden Menschen, bis er sich schließlich auf die Seite der Künstler und gegen das DDR-Regime stellt. Wieder so ein Film, wo Innen- und Außenwelt auseinanderklaffen, ein Film über öffentliche Rollen, Masken und Fassaden – wieder so ein Film für den Mann mit den außergewöhnlichen Augen.
Foto: DW
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