13.03.2007

Arabischer Schwerpunkt bei den Filmtagen Augsburg

Last minute-Info: Irit Neidhardt hat für den Arabischen Schwerpunkt bei den Filmtagen Augsburg ein ganz hervorragendes Programm mit vielen aktuellen, sehenswerten Filmen kuratiert! Ich zitiere einfach mal die Meldung, da wird glaube ich schon klar, dass sich der Besuch sicher lohnt. Vielleicht setzte ich mich ja für den neuen Film von Khalil Joreige und Johanna Hadjthomas in den Zug, der mir bis jetzt immer entgangen ist. Die meisten anderen Filme habe ich bereits gesehen, lege sie aber allen Interessierten wärmstens ans Herz, da dies eine der leider seltenen Möglichkeiten ist, sie in Deutschland auf der Leinwand zu sehen!

Fokus auf neues unabhängiges arabisches Filmschaffen

Meine Aufgabe war es, einen großen und attraktiven arabischen Schwerpunkt für dieses Festival zusammen zu stellen. Ein Programm zu präsentieren, dass deutsches Publikum anzieht. Es könne ruhig kontrovers sein. Ich sprach mit Leuten in meiner Umgebung über die Idee, um heraus zu finden, was sie attraktiv fänden und ich sah mehr fern als sonst, um zu sehen, ob mein Eindruck von der Präsentation arabischer und muslimischer Themen im deutschen TV richtig war.

Die Leute finden das Thema aktuell, wichtig und interessant. Aber welches Thema? Und was ist so aktuell an Araberinnen und Arabern? Die Themen, die hier mit Arabisch-Sein oder Islam verbunden werden sind Terror und Gewalt, Religion (und Gewalt), Frauen (und Gewalt) und – wenn es um Medien im weitesten Sinne geht – Zensur. Wäre ein Programm, dass sich diesen Themen widmet interessant und kontrovers? Vielleicht. Wäre es kineastisch? Eher nicht.

Ich habe mich für das kineastische Programm für den Bereich der Festivalfilme entschieden und Reportagen im Kontext einer Konferenz über arabische Nachrichtensender programmiert.

Das Filmprogramm scheint mir so interessanter und – apropos kontrovers – es kreiert keine Anderen. Gute Filme befassen sich mit den essentiellen Gefühlen von Menschen und die sind mehr oder weniger identisch: Liebe, Angst, Hoffnung, Tod, Jugendlichkeit... Dieses Programm befasst sich viel mehr mit unseren Gemeinsamkeit als mit Differenzen, ohne diese jedoch zu verleugnen.

Ich freue mich, dass mit Ghassan Salhab's THE LAST MAN einer der bedeutendsten unabhängigen Regisseure aus der arabischen Welt seinen neuen Spielfilm in Augsburg präsentiert. Joana Hadjithomas und Khalil Joreige sind als Künstler- und Regisseurpaar weit über die arabische Welt hinaus bekannt und präsentieren ihren viel beachteten preisgekrönten Film A PERFECT DAY. Beide Filme nehmen das Publikum mit in die Atmosphäre Beiruts, geben ein Gefühl vom Puls der Stadt Anfang des 21. Jahrhunderts. Josef Fares, der vielen von seinen Filmen YALLA, YALLA und COPS bekannt sein wird, zeigt mit ZOZO seinen ersten sogenannten ernsthaften Film. Diesmal eine Geschichte, die aus Beirut weg führt, fort aus dem Bürgerkrieg in ein neues Leben in Schweden. Mit Mohamed Mustafas LEISURE TIME ist der Art-House Überraschungserfolg an der ägyptischen Kinokasse im Sommer 2006 im Programm. Und Samir Nasr befasst sich in FOLGESCHÄDEN mit der Frage, wie tief das Misstrauen gegen arabische Menschen in Deutschland nach dem 11. September in das tägliche Miteinander greift.

Hala Alabdallahs und Ammar Albeiks Dokumentation I AM THE ONE WHO BRINGS THE FLOWERS TO HER GRAVE feierte seine Welturaufführung in Venedig und war danach auf zahlreichen Festivals zu sehen. Er ist einer von mehreren sehr poetischen dokumentarischen Road-Movies im Programm. So nimmt Wael Nourredine das Publikum in FROM BEIRUT, WITH LOVE mit auf einen Besuch in seiner Heimatstadt Beirut, in der er keine anderen Wahlmöglichkeiten als die zwischen Armee und Religion und Religion und Armee sieht und wo ein Schuss Heroin nur fünf Dollar kostet. Während des Krieges im Sommer 2006 ist er wieder in seine Heimat Libanon gereist und zeigt seinen ganz subjektiven JULY TRIP. Auf der Suche nach Hoffnung und Bildern, die die Medien nicht zeigen, reist Bassem Fayad in ROAD BEYOND SUNSET mit drei Freunden durch den Irak, Dalila Ennadre durchquert Marokko und gibt in I WANT TO TELL YOU... den Frauen eine Stimme, die im Allgemeinen nicht gehört werden.

Hiba Bassem wird mit ihrem Filmtagebuch Baghdad Days zu Gast sein, in dem sie ihren Alltag als Filmstudentin in Baghdad festhält und reflektiert. In der Sektion der Studentenfilme werden weitere Arbeiten der „Independent Film and Television School Baghdad“ zu sehen sein, Hiba Bassem und der Ko-Direktor der Schule, Kasim Abid stellen die Filmschule vor. In Improvisation stellt Raed Andoni das Joubran-Trio, die derzeit wohl bekanntesten Musiker aus Palästina vor. Andoni eröffnet durch die Begegnung mit den charmanten Joubran Brüdern einen ungewohnten Blick auf die krisengeschüttelte Gesellschaft.

Die Kurzfilme führen nach Syrien, in die Schweiz, nach Norwegen und Frankreich, Palästina und Ägypten, von der Komödie über den Animationsfilm zur Liebesgeschichte.

Meyar al-Roumi, der Kameramann des renommierten syrischen Dokumentarfilmers Omar Amiralay, zeigt seinen kurzen Spielfilm RABIA‘S JOURNEY, die erste Reise, die die junge Frau aus ihrem Dorf führt. Der TV-Produzent und Regisseur Fouad Alaywan präsentiert seine Komödie SEE YOU LATER, in der er eine libanesische Familie in die Schweiz verpflanzt. Ula Tabari, Regieassistentin von Samir und Elia Suleiman, setzt sich in DIASPORA mit dem Leben in der Fremde auseinander und Tamer el-Said flirtet in ON MONDAY nahezu mit seinem Publikum.

Mit diesen und zahlreichen weiteren Filmen sind Sie eingeladen, die Vielseitigkeit arabischen Filmschaffens – und Lebens – zu entdecken.

Im Rahmen der Konferenz "Politik und Zeitgeschichte im arabischen Nachrichten-TV" werden unter anderem Sendungen gezeigt, die als Dokumentarfilme auf internationalen Festivals laufen, aber häufig Produktionen für al-Jazeera und al-Arabiyya sind. So wurde Tamer el-Said's TAKE ME auf zahlreichen Festival ausgezeichnet und ist eine Produktion aus dem Hause HOT SPOT in Dubai für die Reihe „Once upon a Time“, die für al-Jazeera produziert wurde. Eliane Raheb's SUICIDE, der zahlreich aufgeführt wird, ist Teil der Sendereihe „In and Around Iraq“, die das Produktionshaus O3 in Dubai für al-Arabiyya hergestellt hat.

Vor dem Hintergrund, dass wir bei arabischem Fernsehen im Westen in erster Linie an Bilder Bilder von Bin Laden, Entführungsopfern im Irak und Kriegsbilder aus dem Libanon im Sommer 2006 denken, die Bilder, die die beiden großen Nachrichtensender al-Jazeera und al-Arabiyya an die westlichen Sender verkaufen, hat es mich interessiert, Reportagen, die für eben diese Sender produziert werden auch im Kontext des TV zu zeigen und gerade nicht als unabhängige Dokumentarfilme. Durch die Reduzierung auf die oben genannten Bilder schleicht sich ein bisschen der Eindruck ein, als seien Bilder von Bin Laden und vom Krieg das Fernsehprogramm, das arabisches Publikum sieht. Das Bild deckt sich auch mit den Begriffen, die hierzulande in der Regel mit „arabisch“ oder „muslimisch“ assoziiert werden: Terror, Krieg, Gewalt. Es entspricht aber nicht der Realität des TV-Programms. Auf der Konferenz Politik und Zeitgeschehen im arabischen TV werden also Produzenten und Regisseure Einblick in ihre Arbeit mit und für die beiden Nachrichtensender al-Jazeera und al-Arabiyya geben und in die Hintergründe der Produktionszusammenhänge erläutern. Wer produziert was, mit wem, für wen? Wie kann ein und der selbe Produzent für verschiedene Sender arbeiten? Wie weit kann man unabhängig bleiben und sein Geld mit Aufträgen von den beiden Sendern verdienen? Wie verlaufen die Produktionen für die Sender? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden Einführungen in das (arabische) TV geben, weit über die Nachrichtensender hinaus.

Und natürlich gibtes zahlreiche Sendungen zu sehen : aus Politik, Zeitgeschichte und Kultur. HOT SPOT zeigt zwei Episoden aus der Reihe „Once Upon A Time“ mit dem beliebten TV-Journalisten Assad Taha. O3 präsentiert drei Episoden aus der Reihe „In and Around Iraq“. Die Reihe arbeitet mit dem Konzept von Videobriefen, persönlichen Stellungnahmen, die Regisseurinnen und Regisseure aus verschiedenen arabischen Ländern zum Krieg im Irak produziert haben und die 2003 von al-Arabiyya ausgestrahlt wurden. Dimitri Khodr, Mitbegründer der Filmkooperative Beirut DC und Generaldirektor des Senders „New TV“ zeigt seine unabhängige TV-Reportage Children of the Cedars und Simon el-Habre, Mitglied von Beirut DC, Cutter und Regisseur eine Episode aus dem al-Jazeera-Programm „The Arabic Lens“, einem wöchentlichen 30-Minuten Programm, bei dem arabische Regisseurinnen und Regisseure aus Fernsehen ud Kino porträtiert werden. Die beiden Regisseure bezeichnen sich als unabhängig und werden zu ihrem Verhältnis zum arabischen TV sprechen. Die hier genannten Sendungen werden in Workshops mit Produzenten und Regisseuren vertieft behandelt.

Last but not least greift auch das internationale Studierenden Treffen CINEMA OF TOMORROW den arabischen Fokus auf. Auch wenn die arabische Welt häufig als diffuse Einheit gesehen wird, sind die Bedingungen in den Ländern sehr unterschiedlich. An Möglichkeiten der Ausbildung als Spiegel der Filmlandschaft ist dies sehr gut zu sehen. Filmstudierende und junge Filmschaffende aus drei Ländern geben in Einblick in die Situation vor Ort: aus dem Irak, Jordanien und dem Libanon. Die Situation der drei Länder könnte unterschiedlicher nicht sein. Die Kreativität blüht jedoch überall. Aus dem Irak stellen Kassim Abid, Mitbegründer und Kodirektor der INDEPENDENT SCHOOL OF FILM AND TELEVISION BAGHDAD und Heba Bassem die Schule vor, aus Jordanien wird die AMMAN FILMMAKERS COOPERATIVE präsentiert, die Film- Kooperative, die als erstes Workshops für den Filmnachwuchs in Jordanien angeboten hat und aus dem Libanon stellen Studierende aus verschiedenen Filmschulen in Beirut ihre Ausbildung vor. Alle Präsentationen beinhalten auch Filmvorführung von Arbeiten der Studierenden.

Auch wenn Sie nicht studieren, sind Sie herzlich eingeladen, an den Veranstaltungen teil zu nehmen.

(Irit Neidhardt)


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