05.11.2006

Kino und Politik

Gedanken zur Arbeit des palästinensischen Regisseurs Rashid Masharawi Er wolle primär gutes Kino machen, keine Politik, sagte Rashid Masharawi in einem Interview einmal. Nur: in Palästina Filme zu machen, ohne Politik mitzudenken, wäre absurd, allenfalls als naiver Eskapismus denkbar. Also spielt das politische Geschehen in Masharawis Umgebung auch in seine Arbeit hinein: „Ce qui m’importe est d’abord de faire du bon cinéma. Le cinéma n’est pas de la politique, car il parle de l’humain et peut donc toucher tout le monde de manière universelle. On peut toujours rêver! Mais vous savez, je suis né à Gaza, je vis à Ramallah donc je suis forcément opposé à l’occupation. Et en Palestine, parler de l’humain est déjà politique. La distinction n’est donc pas évidente, c’est un équilibre difficile.“ Aber wie sieht es aus, das Verhältnis von Kunst und Politik im Werk Masharawis? Dass die Kombination von Kino und Politik, dass deutliche politische Stellungnahmen schon lange nicht mehr nur in Form von thesen-überfrachtetem cinéma militant daher kommen, hat nicht zuletzt Masharawis Landsmann Elia Suleiman in seinen absurden Überhöhungen der Realität eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Ein Hauch dieser Absurdität findet sich in Masharawis jüngstem Spielfilm L’attente (2005) wieder, einem bittersüßen Drama über die Unmöglichkeit, in der Kunst der Politik zu entgehen, über Träume und Enttäuschungen. Ein Theaterregisseur wartet in Ramallah auf die zugesagten europäischen Hilfsgelder, um ein palästinensisches Staatstheater zu bauen. Er wartet schon lange. Und ein Filmemacher, der Palästina eigentlich verlassen will, tut seinem alten Freund einen letzten Gefallen und geht in Flüchtlingscamps in Jordanien, Syrien und Libanon, um Darsteller für das zukünftige Nationaltheater zu casten. Lang sind die Schlangen und groß die Verwirrung, als sie weder Grußbotschaften an ihre Familie in Palästina senden können noch dem Regisseur keine großen Gefühle vorspielen sollen, sondern das Warten. Einfach nur warten. Wie sie es in den letzten Jahren so oft getan haben. Das Warten und die daraus resultierende Frustration stilisiert Masharawi zur Ausdrucksform einer eingeschlossenen Gesellschaft, die sich resigniert zurückzieht oder dem Frust in eruptiver Gewalt Luft macht. Masharawi zeigt Menschen, die vor lauter Warten auf den eigenen Staat nostalgisch geworden sind, die Vergangenheit glorifizieren, und deren Überlebenswille sich nur aus der Hoffnung speist, eines Tages nach Palästina zurückkehren zu können. Und gleichzeitig sind sie unfreiwillig zu Schauspielern auf der Bühne der Weltpolitik geworden, zur Verhandlungsmasse eines Staates ohne Gebiet und ohne reelle Macht. Eingeschlossen auch die Protagonisten seines Films Curfew (1993), eine Familie, die während einer nächtlichen Ausgangssperre in ihrem Haus ausharrt. Masharawi seziert den Mikrokosmos, versammelt in diesem einen Haus Alt und Jung, Männer und Frauen, Politische und weniger Politische. Kleine und große Dramen spielen sich dort ab, jeder versucht, einen Rückzugsort, ein bisschen Privatsphäre zu gewinnen und an der Ungewissheit der Situation nicht zugrunde zu gehen. Vom Mikrokosmos zum Versuch einer neuen Landvermessung in Haifa (1996), dem zweiten Spielfilm von Rashid Masharawi, der zugleich Produzent, Spiel- und Dokumentarfilmregisseur und der Leiter des Cinema Production Centers in Ramallah ist. In einem palästinensischen Flüchtlingscamp lebt Haifa, ein ehemaliger Soldat (zumindest trägt er eine Uniform), der die moderne, kriegsgeschädigte Form eines Dorfverrückten darstellt. Ein Mann, der keinerlei Orientierung mehr findet in den Irrungen und Wirrungen des Krieg und der immer neuen, erfolglosen Friedensverhandlungen, ein Mann, der in die Stadt seiner Träume, nach Haifa, nicht mehr zurückkehren kann. Stattdessen durchstreift er das Lager, ist immer als erster über die Geschehnisse informiert und fungiert als Überbringer guter wie schlechter Nachrichten. Haifa dient dem Regisseur als Figur, mit deren Hilfe er Einblicke in die Leben der anderen Camp-Bewohner geben kann, in Hochzeitsvorbereitungen, Diskussionen übers Abendessen oder Weltpolitik, in die Auseinandersetzungen über Tradition und Moderne. In seinen Spielfilmen spiegelt Masharawi die Politik im Alltäglichen, in ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft. Selten sind die Geschehnisse poetisch-absurd überhöht (wie bei Suleiman), vielmehr ist seinen Filmen trotz ihrer Symbolhaftigkeit ein gewisser dokumentarischer Gestus eigen. Doch während sich in der Fiktion eine gewisse maßvolle Zurückhaltung in Bezug auf politische Thesen und militante Stellungnahmen finden lässt, gerät die Balance zwischen Kunst und Politik in den Dokumentarfilmen Rashid Masharawis verloren. So geschehen etwa in seinem Porträt Arafat, mon frère (2006). Da er an den „großen“ Arafat nicht herankommt, porträtiert er den, der ihm am nächsten Stand: seinen Bruder Fathi Arafat, Arzt und Gründer des palästinensischen Roten Halbmondes. Der sterbenskranke alte Mann sitzt da, zeigt Fotos aus dem Familienalbum, erzählt Anekdoten. Und Mashrawi folgt ihm bedingungslos. Nach Paris zur Chemotherapie, zurück ins Exil nach Kairo, nach Ramallah zum Abendessen mit Yassir Arafat. Langsam entwickle er Sympathie für den alten Herren, sagt er einmal. Das ist milde ausgedrückt. Man könnte es auch bedingungslose Zustimmung nennen, so offensichtlich ist der Distanzverlust des Regisseurs, der jeder noch so belanglosen (politischen) Floskel Arafats huldigt. Welchen Anteil die Brüder Arafat an der Situation haben, die Rashid Masharawi in seinen Spielfilmen so eindrücklich schildert, ja: die wesentlicher Antrieb seiner Arbeit ist, diese Frage stellt er im Dokumentarfilm nicht.

1 Kommentar:

orcival hat gesagt…

erstaunlich, das hier so schoen und ausfuehrlich zu lesen. wo du/sie nur immer diese ganzen filme her kennst. darf man eigentlich fragen, ob du/sie das beruflich machen oder einfach aus passion...