28.01.2007

Bamako (Abderrahmane Sissako, 2006)

Gegen die Logik globaler Finanzmärkte

Alltag in Bamako, der Hauptstadt von Mali: im Innenhof eines Wohnhauses färben Frauen große Baumwolltücher, ein Paar streitet sich, ein junger Mann liegt krank in einem der angrenzenden Zimmer, Kinder kommen und gehen. Doch mittendrin Männer und Frauen in Roben, Ankläger und Richter in einem Prozess, den die Bevölkerung gegen den Internationalen Währungsfond und die Weltbank anstrengt.

Abderrahmane Sissako verweigert sich in seinem neuen Film „Bamako“ der Logik der Weltordnung, die er in seinem Film anklagt: er begibt sich nicht zum Sitz der Entscheidungsträger, sondern dahin, wo die Ankläger leben, die tagtäglich die Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftspolitik zu spüren bekommen. Der Prozess gegen die Mächtigen dieser Welt findet nicht etwa in New York oder Brüssel statt, wo man sonst internationale Gerichtsverfahren erwarten möchte, sondern in Mali, einem der ärmsten Länder Afrikas. Mit formaler Strenge, aber ohne didaktischen Impetus inszeniert der Weltbürger Sissako – in Mauretanien geboren, in Mali aufgewachsen, in Moskau studiert und in Paris lebend – im Haus seines kürzlich verstorbenen Vaters diesen fiktiven Prozess von Arm gegen Reich. Vom einfachen Bauern bis zum Anwalt kommt jeder zu Wort, bezeugt die Auswirkungen der internationalen Finanzpolitik und die Korruption manch eines Staatschefs. Die Richter und Anwälte in „Bamako“ üben auch im richtigen Leben diesen Beruf aus, manche Schauspieler sind Profis, und andere wiederum Verwandte des Filmemachers, die auch außerhalb der Dreharbeiten in diesem Haus leben.

Abderrahmane Sissako gelingt mit „Bamako“ eine kluge Analyse globaler Zusammenhänge – gerade, weil der Film weit mehr ist als nur eine Anklage. Denn Sissako klagt nicht nur an, er macht vor allem Kunst. Und die ist politisch, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Vor den Dreharbeiten gab der Regisseur den Juristen Informationen über die globale Finanzpolitik, um die Plädoyers vorzubereiten, die er während der Dreharbeiten mit mehreren Videokameras einfing – ohne zu wissen, was ihn erwartet. Diesem dialoglastigen Teil gegenüber stehen die Geschichten der Hausbewohner, allen voran die der Sängerin Melé und ihres arbeitslosen Ehemanns Chaka. In ruhigen, klaren Bildern und ganz auf die ausdrucksstarken Schauspieler Thiécoura Traoré und Aïssa Maïga vertrauend inszeniert Sissako, wie das Paar an den Frustrationen des Alltags auseinanderbricht. So öffnet der Regisseur von „La vie sur terre“ und „Heremakono – Warten auf das Glück“ ohne viele Worte immer wieder den Blick für diejenigen, über deren Schicksal eigentlich verhandelt wird: für die, an denen das Verfahren scheinbar beiläufig vorbeigeht, die sich nicht dafür zu interessieren scheinen aus dem Wissen, dass auch die ständige Wiederholung schwerwiegender Argumente das Handeln der Mächtigen dieser Welt kaum beeinflussen wird. Und für die, die vor den Mauern des (Gerichts-) Hofes sitzen und den Prozess übers Radio verfolgen, weil sie nicht eingelassen werden – genauso wenig wie ein Flüchtling, der im Verlauf des Films die malische Hauptstadt verlässt und an der Festung Europa scheitert.

Mit einem Augenzwinkern fügt der Regisseur einen Spaghetti-Western in den Verlauf des Films ein. „Tod in Timbuktu“ heißt es für internationale Filmstars wie den amerikanischen Schauspieler Danny Glover oder den palästinensischen Regisseur Elia Suleiman. Doch bei aller dieser Parodie innewohnenden Ironie verweist der Western, wie auch der Gerichtsfilm ein ureigenens amerikanisches Genre, auf die nicht nur ökonomische, sondern auch die kulturelle Dominanz der Weltmächte, die sich sogar in der Wüste Malis niederschlägt. Abderrahmane Sissako beweist mit jedem seiner Filme aus Neue, dass er dieser Dominanz etwas entgegen zu setzen hat.

23.01.2007

gelesen

In der taz findet sich heute ein interessanter Artikel über das sogenannte World Cinema (man ist ja pc und nennt es nicht mehr indigenes oder Dritte-Welt-Kino), die Koproduktionsmaschinerie und die zweifelhaften Förderpraktiken von z.B. dem World Cinema Fund, mit dessen Hilfe sich Dieter Kosslick ja gerne mal zum Retter der kulturellen Vielfalt aufschwingt (vgl. z.B. mein Textchen hier).

22.01.2007

"Man darf keine Angst vor einer Idee haben" - Nouri Bouzid im Gespräch

Mit Making Of gelang Nouri Bouzid bei den Journées Cinématographiques de Carthage (11.-18. November 2006) ein Achtungserfolg. Zwanzig Jahre nachdem er mit seinem Debütfilm L’homme des cendres für Aufsehen sorgte, greift er in Making Of erneut ein brisantes Thema auf: den Terrorismus. Der Film erzählt die Entwicklung eines jungen Mannes vom Breakdancer zum Beinahe-Attentäter. Von der Polizei schikaniert und der Perspektivlosigkeit seines Lebens frustriert erscheint er als idealer Selbstmordattentäter und wird von einer Gruppe Fundamentalisten rekrutiert. Doch sogar als er den Sprengstoffgürtel bereits umgelegt hat, plagen ihn Zweifel, ob er das Recht hat, andere Menschen in den Tod zu reißen. Doch nicht nur die Figur, auch Darsteller und Regisseur haben ob der Brisanz des Stoffes Zweifel an ihrer Arbeit. In drei in den Handlungsverlauf eingeschnittenen Making Of's diskutiert der Regisseur mit Hauptdarsteller Lotfi Abdelli die Thesen des Films. In Tunis habe ich mich mit Nouri Bouzid über seinen neuen Film, über Zensur, die Ursachen des Terrorismus, über Demokratie, Fundamentalismus und die Situation in Tunesien unterhalten.

Herr Bouzid, sie beziehen sich in Making Of oft auf ihren ersten Film Der Mann aus Asche, den Sie vor zwanzig Jahren gedreht haben, und der damals ebenfalls den goldenen Tanit bei den JCC gewonnen hat. Die Hauptfigur von Making Of, Bahta, erinnert sehr an Farfat – beides sind Outsider, marginalisierte Wesen, aber auch „luftige“, flüchtige Figuren, die immer wieder rebellieren.

Sie haben Recht, die Ähnlichkeiten sind vorhanden, aber Bahta ist nicht homosexuell – das ist der einzige Unterschied. Und es ist gut dass es diesen Unterschied gibt. Ich bin sehr wütend – obwohl ich nicht selbst homosexuell bin – wenn in einem Film wie Das Yacoubian Gebäude ein so homophober Diskurs entwickelt wird, ohne jegliche Poesie, das ist ekelerregend. So etwas hat nichts mit Farfat zu tun. Aber die Verbindung zwischen den beiden Figuren ist da. Während des Publikumsgesprächs nach der Vorführung habe ich mich selbst getäuscht und Farfat statt Bahta gesagt. Ja, beide Figuren rebellieren und sind flüchtig.

Aber gleichzeitig sind sie auch frustriert und verletzt.

Alle meine Figuren sind verletzt. Ich entwickle in meinen Filmen Charakteristika der verletzten, unterlegenen, zerstörten Figuren, die aber immer noch Energie zu haben um wieder nach oben zu gelangen, aber nur um den Preis ihres Lebens, indem sie ihr Leben lassen und sich dabei selbst übertreffen. Manchmal unternehmen sie Dinge, die außerhalb ihrer Möglichkeiten liegen. Ich glaube, ich kann keine anderen Figuren konstruieren. Und jedes Mal wenn ich mich von diesem Figurentypus entferne fühle ich mich schlecht.

In Making Of macht Bahta seiner Frustration Luft, indem er sich dem Fundamentalismus, dem Terrorismus zuwendet. Er stellt sich gegen den Westen, den er attackieren will – doch dieser bleibt im Film eine relativ abstrakte Idee.

Er rebelliert nicht nur gegen den Westen. Die Feinde sind alle genannt, ich will im Film nicht alles erklären, was bekannt ist. An einer Stelle sagt man Bahta: „Wir schicken dich mit einer Tanzgruppe in den Nahen Osten“, also entweder in den Iraq, nach Israel oder Palästina. Es könnte auch der Westen sein, aber am Ende läuft es auf das gleiche hinaus. Aber Achtung: sein Vorhaben ist gescheitert. Ich habe mir nur einen kleinen Verweis auf den Westen erlaubt mit „Kapital“ [Aufschrift auf dem Container, in dem Bahta sich in die Luft sprengt] und mit den Containern selbst, denn die habe ich nicht einfach so ausgewählt: das ist mit der Idee der Reise verbunden, aber auch mit Handel und Waren…

… und mit der Globalisierung. Auch den Breakdance findet man in der ganzen Welt.

Ja. Aber die Leute haben mich gefragt: „Warum hat er sich für Nichts getötet?“ Bahta hat sich nicht für Nichts getötet. Und außerdem: selbst wenn er sich für Nichts tötet, dann ist es besser, als Selbstmordattentäter zu sterben, der für Nichts stirbt, als andere Menschen zu töten. Zum Einen. Und zum Zweiten: ich wollte, dass er ein Opfer ist, und ich habe die Sympathie auf ihn gelenkt. Ich wollte diese Sympathie nicht zerstören. Ich wollte, dass er stirbt, weil er mit dem Virus infiziert ist, weil er mit dem Feuer spielt, aber ohne dass er selbst tötet. Er bleibt ein Opfer.

Ausgeschlossen zu sein, das ist etwas, was er in seiner eigenen Umgebung erfährt, das kommt nicht von Außen.

Es ist klar, dass der soziale und politische Kontext der Grund dafür ist, dass Bahta leicht rekrutiert werden kann. Es ist die Abwesenheit von Freiheit, in seinem Fall die Abwesenheit eines Ortes zum Tanzen. Schon kleine Menschenansammlungen werden wie Meuten behandelt. Aber gleichzeitig, um auf den Schluss zurückzukommen, wollte ich, dass das Ende ein bisschen von der griechischen Tragödie beeinflusst ist. Also habe ich hier einen Helden der griechischen Tragödie, dessen Schicksal ihm entgleitet, und der deshalb einen tragischen Tod stirbt, das ist ein mythologischer Aspekt.

Wo sind ihrer Meinung nach die Gründe zu suchen für den Fundamentalismus, für Selbstmordanschläge und ähnliches? Im Westen, in den arabischen Ländern?

Die Gründe für den Terrorismus werden im Film klar benannt. Im ganzen Prozess der Vorbereitung der Gehirnwäsche sind sie klar. Der läuft so ab: Zuerst der Körper, das Verhalten, die Person, dann die ideologischen Gründe, die im Koran zu finden sind: die Erwartung des Paradieses mit all den Frauen. Aber abgesehen davon benötigt es eine Tat die der Größe Gottes gerecht wird. Das ist die eine Sache. Aber wenn die Person Zweifel hat, dann läuft die Gehirnwäsche nicht so einfach. Daher bezieht man sich immer auf unsere irakischen und palästinensischen Brüder. Und in einem anderen Kontext wäre es eine andere Nationalität. Wenn ich von einem Terroristen spreche, dann meine ich denjenigen, der die Völker terrorisiert. Die Amerikaner und die Israelis sind Terroristen. Bahta kämpft gegen diese Leute, sie sind seine Feinde. Die Feinde im Film sind nicht im eigenen Land. Aber man weiß hier sehr gut, dass die Fundamentalisten dazu in der Lage sind, terroristische Akte zu verüben, so wie es zum Beispiel den Anschlag von Djerba gab. Ich war einer derjenigen, der sich damals sehr schlecht gefühlt hat, dass man die Tunesier zunächst so informiert hat, als sei es ein Unfall gewesen. Man hätte dies klipp und klar verurteilen müssen, um daraus zu lernen und nicht die Terroristen zu beschützen. Alle Welt weiß, dass das Tunesier waren. Wem verbirgt man, dass es bei uns Terroristen gibt? In Madrid waren die Drahtzieher Tunesier, im Irak gab es viele Fälle, an denen Tunesier beteiligt waren. Der Terrorismus ist ein Exportgut. Wenn sie in Tunesien agieren wollen, dann können sie das tun. Generell spielen bei der Indoktrinierung immer das imperialistische Element und der Fall Palästina eine Rolle, der als starkes und emotional besetztes Argument genutzt wird.

Sprechen wir von der Form des Films. Wie entstand die Idee des „Making Of“?

Eigentlich war das von Anfang an so geschrieben. In der ersten Drehbuchfassung, die dem Ministerium [der Kultur] vorgelegt wurde, waren vielmehr Making Of-Partien enthalten. Es hat damit begonnen und geendet. Und nach und nach hatte ich das Gefühl, mich davon lösen zu können. Wissen Sie, ein Drehbuch ist ein Lebewesen, und es lebt weiter und entwickelt sich, sogar während der Dreharbeiten, sogar während des Schnitts. Denen, die zu mir sagen: „Das ist aber nicht das Drehbuch, das du vorgelegt hast“, antworte ich: „Ihr kennt das Kino nicht.“ Ein Drehbuch auf Filmmaterial zu kopieren ist kein künstlerischer Vorgang, das interessiert mich nicht. Wieso habe ich den Film so gestaltet? Die Idee ist aus zwei dringenden Bedürfnissen in mir entstanden, die ich nicht trennen konnte: Bei uns hat man im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus eine Politik des Nichts-Tuns und des Tut-Nichts-Dagegen geführt. „Man darf Terrorismus und Fundamentalismus nicht provozieren“, heißt es. Für mich sind Kampf gegen den Terrorismus und Kampf für demokratische Freiheiten eine Angelegenheit. Wenn es Terroristen gibt, wenn es den Fundamentalismus gibt, dann auch deshalb weil man den Menschen keine Freiheit gewährt. Wenn die Leute die Möglichkeit haben, sich auszudrücken, dann sind sie nicht gezwungen, sich in geheimen Organisationen zu engagieren. Zu einer bestimmten Zeit waren diese Organisationen marxistisch, zu einer anderen waren sie arabisch-nationalistisch orientiert, und zur Zeit sind sie islamisch fundamentalistisch, weil diese Organisationen am rebellischsten und radikalsten sind. Die Indoktrinierung erfolgt oft nicht gleich am Anfang. Man wählt die Leute aufgrund ihres Muts und ihrer Bestimmtheit aus, Menschen mit einem Charakter, der mich, bedauerlicherweise, berührt: Das ist der Charakter eines Kämpfers gegen den Imperialismus. Der anti-imperialistische Aspekt ist etwas, dass man nicht attackieren kann. Dieses Gefühl habe ich zum Beispiel in Bezug auf die Hizbullah. Ich weise diese Partei zurück, denn sie ist die Negation meines Wesens, aber der Widerstand gegen die Besatzer ist eine Sache, die man nicht nicht respektieren kann. Darin liegt die Falle. Deshalb funktioniert es. Und deshalb haben wir nicht das Recht, sie mit Verachtung zu betrachten oder indem wir sie karikieren. Denn so eine Betrachtung wendet sich gegen diejenigen, die diese Mittel benutzen. Wenn man wirklich gegen sie kämpfen will muss man ihnen die Maske herunterreißen. Sie sind ehrlich. Sie sind gefährlich, weil sie ehrlich sind. Sie sind gefährlich, weil sie seriös sind, weil sie organisiert sind.

Sie sind keine unberechenbaren Verrückten…

…sie sind nicht verrückt, sie haben ein politisches Projekt. Und dieses politische Projekt ist das Schreckliche. Daher steht es außer Frage, den Integrismus zu karikieren, oder ihn mit einer lächerlichen, komischen oder schwachen Maske zu zeigen. Es steht außer Frage zu zeigen, dass der Terrorismus ein Nichts ist. Hätte man die Explosion am Schluss des Films entfernt – ja, das Ministerium hat verlangt, dass ich die Explosion entferne, der Film wurde monatelang zurückgehalten – wenn man die Explosion entfernt, soll das heißen, dass der Terrorist eine Platzpatrone ist? Dass man keine Angst haben muss, dass die Terroristen ungefährlich sind und nichts tun werden? Das ist nicht wahr. So etwas unterstützt Terrorismus und Fundamentalismus. Also muss man wachsam sein, aber nicht paranoid. Wäre ich auch nur im Mindesten paranoid, ich hätte diesen Film nicht gemacht. Und die Paranoia des Schauspielers habe ich im Making Of nach außen gekehrt.

Denn das Making Of spricht ja auch von den Ängsten und Zweifeln des künstlerischen Schaffensprozess.

Für mich haben sich diese Zweifel in zwei filmischen Ideen kristallisiert: wo ist das Geheimnis, wo liegt das Mysterium, dass diese jungen Leute dazu treibt, sich so einfach umzubringen? Und zweitens: die Arbeit der Gehirnwäsche, auf die ich einen Schwerpunkt gelegt habe. Ich hatte Angst, dass das mich langweilt, aber es langweilt mich nicht. Und als ich diese Arbeit begonnen habe wurde ich vorangetrieben und provoziert von Bemerkungen, die ich oft in den westlichen Medien sehe. Wenn es einen Anschlag gibt fragt oft jemand: „Wieso machen die das? Ich will verstehen, wieso sie das tun.“ Aber jetzt gibt es jemanden, der versucht es zu erklären, und dieser Film wurde in Cannes abgelehnt, weil er das wahre Gesicht des Integrismus zeigt, so wie man einen Nazi zeigt. Wenn man einen Nazi zeigt, heißt das nicht, dass der Autor ein Nazi ist. Das ist eine Form, etwas anzuprangern. Wenn der Fundamentalist während der Gehirnwäsche sagt „Der Westen hat die Juden massakriert und uns die Verantwortung zugeschoben“, dann ist dies eine Form, die Figur zu entlarven. Wenn ich sie entlarve, heißt das etwa nicht, dass ich anders bin? Aber sie wollten das nicht sehen, denn es gibt auch ein, in Anführungszeichen, „anti-demokratisches Verhalten“ in der Art, wie man von Juden spricht. Es wird unmöglich, zu sprechen. Wir sind alle sehr berührt von den Massakern. Die Palästinenser sind in einer schrecklichen Situation. Das war also mein Ausgangspunkt und ich habe versucht, eine kleine Antwort zu geben, warum es diese Anschläge gibt. So weit mir das möglich ist. Ich habe mich informiert, habe mich umgehört in Orten, wo es ein fundamentalistisches Netzwerk gibt, oder im Milieu von Casablanca, wo ich während einer Filmvorführung war. Daher kam also die erste Idee. Und die zweite Frage war, ob man das Recht hat, darüber zu sprechen. Und wie spricht man darüber? Und wenn man darüber spricht, darf man Angst haben? Und wenn man Angst hat, wie kann man diese Angst überwinden? Das hat sich dann im Making Of kristallisiert. Und es gibt verschiedene Ängste: Angst vor dem Regime, vor den Fundamentalisten, vor Gott.

Sie haben sich im Film sehr klar positioniert zum Verhältnis von Staat und Religion und sich für eine Trennung ausgesprochen.

Und an der Stelle habe ich wirklich Angst, denn es gibt Gerüchte, dass sie diese Stelle entfernen wollen. Für mich ist diese Aussage essentiell wichtig. Denn sonst wäre meine Haltung zum Fundamentalismus zweideutig.

Sie glauben, ohne das Making Of…

…. würde ich beinahe fundamentalistisch.

Sie befürchten, dass die Botschaft nicht mehr ankommen würde ohne das Making Of?

Nein, würde sie nicht. Es ist notwendig, dass ich vom Laizismus spreche. Ich kann angegriffen werden und der Schauspieler tut im Making Of genau das. Ich will nicht dem Fundamentalismus dienen. Ich will nicht zeigen, dass die Fundamentalisten seriös und menschlich sind. Diese Leute sind nicht absolut schlecht, aber ihr Vorhaben ist es, ihre Vorstellungen von unserer Gesellschaft, ihre Ideologie. Der Fundamentalismus existiert, weil alle anderen Ideologien gescheitert sind. In einigen Ländern wie Algerien und Syrien hat man es mit dem Marxismus versucht, man hat den arabischen Nationalismus ausprobiert, das hat nicht funktioniert. Man hat es mit dem Liberalismus und mit Staatswirtschaft versucht. Man hat alles versucht. Es bleibt ein Krieg zu führen, der gegen den Fundamentalismus. Er wird mit Sicherheit eine Niederlage erleiden. Das ist ein Übergang … man kann so auf Dauer nicht leben. Wenn ein Regime wie der Iran – ich habe in Bezug darauf nicht die gleichen Positionen wie die Amerikaner, ich respektiere den Iran sehr – wenn dies nicht eine Übergangsform wäre… Ich teile deren Haltung nicht, ich ertrage es nicht, dass eine Gesellschaft die Frauen zwingt, sich zu verschleiern, dass man in Bezug auf die Polygamie den Koran anwendet – in Tunesien ist die Polygamie seit mehr als fünfzig Jahren verboten. Die Kopftücher sind gerade eine Mode. Selbst wenn ein gewisser Traditionalismus wiederauftaucht, gibt es in der Generation meiner beiden Töchter viele Dinge, die nicht wieder rückgängig zu machen sind. Für diejenigen mit Intellektuellen als Eltern sind diese Dinge nicht rückgängig zu machen. Weil sie nicht einen Fuß in der Vergangenheit und einen in der Moderne haben, können sie nicht wieder umkehren, das ist vorbei. Und das ist gewonnen, das ist eine wichtige Ausgangssituation. Um auf den Film zurückzukommen: was den Fundamentalismus angeht: die Herausforderungen sind vorhanden, was bleibt uns zu tun übrig? Wir sind herausgefordert, weil wir uns von den Siegen Mohammeds, den großen Eroberungen entfernt haben. Wir erinnern uns an die Schwächen und die Niederlagen und an die Größe. Nach und nach löst das die Ansicht auf, dass der Koran für alle Zeiten und alle Orte die Lösung ist. Ich bin der Meinung, dass er eben nicht allen Orten und Zeiten angemessen ist, sonst wäre das die Hölle. Man muss das als Muslim sagen. Das darf nicht geschnitten werden. Man muss es sagen, als Muslim, und zwar ehrlich und glaubhaft. Und es stimmt, dass ich danach Angst hatte.

Hatten Sie Angst vor den Reaktionen des Publikums?

Man hat mir Angst gemacht. Ich hatte keine Angst. Man hat mir Angst gemacht indem man den Film nicht freigegeben hat unter dem Vorwand, die Öffentlichkeit würde ihn nicht akzeptieren, dass man kein Recht hätte, das Heilige der Menschen anzukratzen. Der Laizismus ist eine Idee. Man darf keine Angst vor eine Idee haben. Und außerdem ist diese Idee meiner Meinung nach die einzige Rettung, die einzige Lösung. Wenn zum Beispiel diese Stelle zensiert werden soll, werde ich Widerstand leisten. Der Film wird nicht zensiert werden.

Und das Ende?

Das Ende bleibt, damit bin ich durchgekommen. Ich habe mich geweigert, den Schluss zu entfernen. Sie [die Mitglieder der Kommission] sind bescheuert. Ich konnte sie relativ schnell überzeugen, weil ich zunächst sehr heftig reagiert habe. Und die Produzenten, die dahinter stehen, haben betont, dass eine Änderung des Endes viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Um den Schluss zu ändern müsste man in den Resten suchen, hier was ändern, dort was ändern … da stirbt man. Also haben sie das Ende schließlich akzeptiert. Außerdem hat das Auswahlkomitee der JCC - es gibt da ein eigenes für die tunesischen Beiträge, das aus tunesischen Intellektuellen zusammengesetzt ist – den Film an erste Stelle gesetzt, sie hatten keinerlei Bedenken.

Wird der Film in den tunesischen Kinos zu sehen sein?

Wir tun alles dafür, dass er hier anläuft.

Verlangt das Ministerium weitere Schnitte für die kommerzielle Auswertung?

Nein, da die Leute den Film während der JCC gesehen haben und er so schon ein kleines Publikum hatte, kann ich bestehen. Das wäre idiotisch, sie würden damit nur Werbung machen für den Film, vor allem da der Film einige Preise gewonnen hat und der Inhalt bekannt ist. Und wenn ich mich Kürzungen widersetzte, dann tue ich das, weil die Szenen essentiell sind, und nicht, um Werbung zu machen.

Sie haben den Goldenen Tanit für den besten Film dem Publikum gewidmet, dafür dass es die Furcht überwunden hat. Das hat mich ein bisschen erstaunt, da ihr Verhältnis zum tunesischen Publikum immer schwierig war.

Das ist der Beweis dafür, dass der Film keine Angst macht. Im Gegenteil, er antwortet auf ein Bedürfnis. Ich habe noch nie vorher so eine Reaktion auf einen Film erlebt. Es stimmt, dass das Publikum früher eher gewaltsam mit mir umgegangen ist, weil sie etwas wie diesen Film schon früher erwarteten. „Wieso traust du, der du eine Autorität bist, dich nicht, von diesen Dingen zu sprechen? Du sprichst immer nur vom Körper – der Körper ist uns völlig egal. Es gibt Dinge, die wichtiger sind als der Körper.“

Haben Sie schon neue Projekte?

Ja, einen Film über den Körper (lacht). Ein Riesending, eine große Untersuchung, ein Spielfilm über Lebensentwürfe, über die Schwierigkeiten dieser Jugend und vor allem der Männer, den Schritt zu machen zu einer neuen Vorstellung vom Körper. Denn die Tunesier sind für die Freiheit der Frauen, wenn sie sie eine anbaggern, aber nicht wenn es ihre Frau oder ihre Schwester betrifft. Ich werde sie ein bisschen darauf stoßen.

Sie suchen erneut die Widersprüche innerhalb ihrer Gesellschaft.

Ich bin ein Krieger, ich bin gegen den Feudalismus in unserer Gesellschaft in den Krieg gezogen, ob in Form der Polizei, die foltert, oder in Form des Patriarchats und des Kindesmissbrauchs, ob es in der Form ist, dass jemand seine eigene Frau vergewaltigt oder in Form des Fundamentalismus oder des Handels mit jungen Hausmädchen. Ich glaube, dass unsere Gesellschaft von einem Konflikt durchzogen wird. Ein Teil von ihr ist feudal, der kann bis zum Fundamentalismus gehen, und ein Teil ist liberal, und der kommt soweit er will, bis zur Demokratie. Und je nach Situation gewinnt die eine oder die andere Seite die Oberhand. Jeder Tunesier muss sich entscheiden. Haben Sie Tunesier gesehen, die Demokratie fordern? Es gibt sehr wenige, sie sind sehr selten. Die Völker, die für die Freiheit kämpfen, bringen Opfer. Wenn man nicht bereit ist, Opfer zu bringen, kann es sich nicht um ein dringendes Bedürfnis handeln. Es wird keinen Regimewechsel geben, wenn alle schweigen. Die Leute müssen kämpfen. Sie haben mir gesagt: „Es lohnt sich nicht, darüber einen Film zu machen, den wirst du sowieso nie machen können.“ Ich habe es immer versucht, ich habe auch die Folter gezeigt [in Les Sabots en or]. Ich will mich nicht selbst zensieren, ich kämpfe. Wenn man kämpft, kann man gewinnen, solange man nicht sofort das Regime stürzen will. Ich kämpfe für alle Filme. Die Leute hier haben sich eine nonchalante Haltung angewöhnt, und ich glaube solche Filme wie Making Of können ein bisschen helfen, ein Bewusstsein zu schaffen und den Staub abzuschütteln. Ich hoffe, der Film wird Nachkommen hervorbringen.

16.01.2007

Post aus Tunis

Hatte gerade ein Mail von Moncef Dhouib in meiner Inbox mit jenem schönen Foto dabei. Offensichtlich trifft La télé arrive den Geschmack des Publikums, auch VHS Kahloucha, der zweite Film, der gerade in den Kinos läuft, scheint ähnlich gut anzukommen.

11.01.2007

Berlinale

In den letzten Tagen wurde ja so einiges bekannt, die ersten Filme für Wettbewerb, Panorama und die Perspektive Deutsches Kino stehen fest, außerdem eine mit Hochspannung erwartete sondervorführung von Guy Maddins Brand upon the Brain! mit Isabella Rossellini als Kinoerzählerin. Von meiner Warte aus freut mich, dass die palästinensiche Schauspielerin und Regisseurin Hiam Abass in der Jury sitzen wird, bin gespannt auf den neuen Film von Thomas Arslan, Ferien (Arslan hätte eigentlich längst mal im Wettbewerb landen müssen), im Co-Production Market Filme von Dima El Horr, Reza Bagher und Fariborz Kamarki. Der World Cinema Fund fördert Hiner Salem und Rafi Pitts Zemestan (vgl. Berlinale 2006). Und ich hoffe, dass der Wettbewerbsbeitrag Goodbye Bafana kein gutgemeintes, massentaugliches und leicht konsumierbares Politkino ist. Aber ein bißchen Bedenken habe ich schon.

10.01.2007

www-Fundstück

Nouri Bouzid kann nicht nur Filme machen, er tanzt auch gerne. Weiteres hier. *g*

06.01.2007

Jeune Afrique

Das Jeune Afrique - zwischenzeitlich mal L'Intelligent, inzwischen wieder zum ursprünglichen Namen zurückgekehrt - nicht ganz so unabhängig ist wie sie behaupten, macht ja schon länger die Runde (für positive Berichterstattung über Wahlkampf, Königshäuser usw sollen u.a. aus Marokko Gelder geflossen sein). Seit Hedi Hamdi Kodirektor ist müssen sie sich wohl auch keine Sorgen mehr machen, inb Tunesien zensiert zu werden, so dieser Text von Bakchich hier.

Gelesen

Mahmoud Jemni: Quarante ans de cinéma tunisien. Regards croisés

Vielfach wurde das 40-jährige Jubiläum des tunesischen Films zum Anlass genommen, eine Rückblick auf die Filmgeschichte des Landes zu wagen. Neben Hedi Khelils aufwändigem Abecedaire (demnächst mehr) erschien auch das Buch von Mahmoud Jemni, ein schmaler Band, in dem der Autor (seit Jahren in der ATPCC engagiert) Interviews versammelt, mit bekannten und weniger bekannten Gesichtern des tunesischen Films und seines Umfelds.

Die „Alten“ wie Abdellatif Ben Ammar (Sejnane, Une si simple histoire, Aziza, Le chant de la Noria) und Omar Khlifi (Al Fajr, Al Moutamarred, u.a.) ebenso wie zum Beispiel Jungregisseur Walid Tayaa (dessen Kurzfilm Madame Behja gerade im JCC-Wettbewerb lief), Schauspielerinnen wie Fatma Ben Saidane, Ausstatter, Kameraleute, Journalisten, Produzenten und und und. Das ganze beginnt originellerweise mit einem Interview mit Najet Khlifi, seit 40 Jahren Platzanweiserin im „Mondial“ in Tunis.

Jemni hat allen Interviewten die gleichen Fragen gestellt, Fragen zum Zustand des tunesischen Films, zu Lieblingsfilmen, dem Verhältnis von Dokumentar- und Spielfilm, der Krise zwischen Filmen und Publikum, Verbesserungsvorschlägen und Wünschen für die Zukunft. So disparat wie die Befragten fallen dann auch die Antworten aus, mal ist es eine Zeile, mal sind es mehrere Seiten.

Bei allem Herzblut , das sicher in diesem Buch steckt, mangelt es manchmal an Begleitinformationen zu den Interviewten, ihren Arbeiten, Veröffentlichungen etc pp. sowie einer etwas umfassenderen Einordnung in den Kontext, so dass das Buch in manchen Fällen als gute Ergänzung gesehen werden kann, man jedoch das Umfeld kennen muss, um die Informationen und Statements einordnen zu können.

Mahmoud Jemni: Quarante ans de cinéma tunisien. Regards croisés, Eigenverlag, ISBN: 978-9973-61-501-5, Preis: 15TD

Die Gerüchteküche brodelt

... und keiner weiß genau, was am 3. Januar in Soliman, südlich von Tunis, wirklich passiert ist. Laut ofiziellem Communiqué wurden 12 Mitglieder einer kriminellen Vereinigung erschossen. Inofiziell wird wild spekuliert, alles von Drogendealern über Putschversuch bis hin zu Terroristen (Salafisten), die einen Anschlag im Touristengebiet von Hammamet planten, macht die Runde. Die letzten Nummern von Tunisnews geben einen ganz guten Überblick, welche ausländischen Zeitungen und welche Blogger was zu wissen glauben. Und wenn schon in den tunesischen Zeitungen dazu nichts steht, dann immerhin heute in La Presse ein paar Film-News, u.a. hat Nader Karrout mit La déesse chauve einen Film über die 2005 verstorbene Sängerin Mounira Dhaoui gedreht und mit dem Africa wird ein Kinosaal in Tunis wiedereröffnet. Und Hedi Khelil lobt CinémAction - Les cinémas du Maghreb von 2004. Naja, für manche Dinge ist es nie zu spät.